Filme über Bauer
Auf einen Spielfilm, der dem mutigen und politisch engagierten Generalstaatsanwalt Dr. Fritz M. Bauer den ihm gebührenden Platz in der Geschichte einräumt, müssen wir noch warten. Mit welchem Nachdruck und persönlichem Einsatz der Jurist sich für seine Sache engagierte, dies zeigt jedoch ein ausgezeichneter Dokumentarfilm. Dieser erste Dokumentarfilm über Bauer, der sein Credo für eine offene Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte spannend ins Bild setzt, erschien 2010: FRITZ BAUER – TOD AUF RATEN, ein Film der Berliner Regisseurin, Produzentin und Autorin Ilona Ziok (CV Films). Sie hat viele Jahre an ihrem Fritz Bauer-Projekt gearbeitet und ihre filmisch-dokumentarische Darstellung ist bislang unübertroffen. Der Dokumentarfilm verdeutlicht Bauer Hauptanliegen, die Entnazifizierung und Rehabilitierung des Widerstands, anhand zahlreicher Beispiele und macht deutlich, gegen welche Abwehrfront er dabei zu kämpfen hatte.
Ein Film von Ilona Ziok
Ein deutscher Staatsanwalt, der bei seinen Ermittlungen über NS-Verbrechen in die Netzwerke von Alt-Nazis gerät. Das Psychogramm eines Aufrechten in den 60er Jahren und einer Nation, die von ihrer Vergangenheit nichts wissen wollte. Deutsche Geschichte ganz nahe am Abgrund?
„Wir Emigranten hatten so unsere heiligen Irrtümer. Daß Deutschland in Trümmern liegt, hat auch sein Gutes, dachten wir. Da kommt der Schutt weg, dann bauen wir Städte der Zukunft. Hell, weit und menschenfreundlich. […] Dann kamen die anderen, die sagten: „Aber die Kanalisationsanlagen unter den Trümmern sind doch noch heil!“ Na, und so wurden die deutschen Städte wieder aufgebaut, wie die Kanalisation es verlangte. […] Was glauben Sie, kann aus diesem Land werden? Meinen Sie, es ist noch zu retten? […] Nehmen Sie die ersten Bonner Jahre! Keine Wehrmacht! Keine Politik der Stärke! Nun betrachten Sie mal die jetzige Politik und die Notstandsgesetze dazu! Legen Sie meinethalben ein Lineal an. Wohin zeigt es? Nach rechts! Was kann da in der Verlängerung herauskommen?“
Fritz Bauer (1903-1968)
Mit derselben Zielgerichtetheit, mit der er die Angehörigen des Hitler-Attentats rehabilitierte, hat Bauer wie kein anderer Jurist die Aufhellung und Ahndung der Nazi-Verbrechen in Gang gesetzt. Als hessischer Generalstaatsanwalt von 1956 bis 1968 war er der maßgebliche Initiator der Frankfurter Auschwitz-Prozesse.
Eine wichtige Rolle spielte Bauer auch bei der Ergreifung Adolf Eichmanns. Da er berechtigte Zweifel hegte, dass die deutsche Justiz nachdrücklich genug Eichmanns Auslieferung fordern und ihn konsequent wegen Mordes in vielen tausend Fällen anklagen würde, informierte er die Israelis über den Aufenthaltsort des berüchtigten „Buchhalters der Endlösung“, damit Eichmann in Jerusalem vor Gericht gestellt werden konnte.
Während seiner Amtszeit in Frankfurt am Main hat Bauer in Hessen als erstem Bundesland auch die Reform des Strafvollzugs maßgeblich vorangetrieben. Dessen Humanisierung gehörte für ihn zu einer Demokratisierung der Gesellschaft.
Durch sein vielfach provozierendes Auftreten – so redete er einmal Strafgefangene mit „Meine Kameraden“ an – und durch seine Unnachgiebigkeit gegenüber NS-Verbrechern wurde Bauer im restaurativen Klima der Ära Adenauer zur Provokation für den Zeitgeist, nicht nur der rechten und rechtsradikalen Kritik. Aufsätze und Reden mit Titeln wie „Mörder unter uns“ und „Am Ende waren die Gaskammern“ erregten Anstoß in den 1950er und 60er Jahren, die Mehrheit der Deutschen wollte einen Schlussstrich ziehen.
Antisemitische und politische Anfeindungen begleiteten von daher das Leben des Juristen. Der status quo ante bestimmte – mutatis mutandis – die Situation in der jungen BRD, wo Beamte und Angestellte, die während der NS-Herrschaft an der Verfolgung mitgewirkt hatten, auf ihre Stellen und Posten zurückkehrten, selbst in hohen Positionen. Weil Bauer sich dagegen wandte, dass sich die Gesellschaft in dieser Geschichtsvergessenheit einrichtete und einen wirklichen Neubeginn anstrebte, stieß er auf Ablehnung und Zurückweisung; bei den Ewiggestrigen, aber auch bei den vielen Opportunisten und Beschwichtigern.
Generalstaatsanwalt Dr. Bauer war seiner Zeit weit voraus, seine rechts- und gesellschaftspolitischen Vorstellungen, auch die des internationalen Gerichtshofs, stießen noch nicht auf die wünschenswerte positive Resonanz. Die Unentschiedenheit der Gesellschaft im Hinblick auf ihre Vergangenheit, die Selbstschonung vor dem Schock, den der Blick in den eigenen Abgrund auslöst, verhinderte noch lange nach Bauers Tod die Aufhellung der Geschichte. In der Justiz, so sagte der Generalstaatsanwalt oft, lebe er wie im Exil. Doch er ließ sich nicht abbringen von seinem Weg der Aufklärung und des demokratischen Neubeginns.
Ein schwerer Schlag für den Sozialdemokraten und Widerstandskämpfer wurde dann allerdings die Verabschiedung der Notstandsgesetze. Bauer sah diesen Schritt als eine irreparable Rückwende zum autoritären Staat, die junge Demokratie gab sich unter dem Vorwand auf, sich selbst retten zu müssen. Hatte sie so wenig innere Substanz? Als im Mai 1968 schließlich die Dreher-Gesetze vom Bundestag verabschiedet wurden, bedeutete dies den Dolchstoß für Bauers Hoffnung auf eine wirkliche Auseinandersetzung mit der Nazi-Geschichte.
Am 30. Juni 1968 wurde der Jurist tot in seiner Frankfurter Wohnung aufgefunden. Die Räume waren ‚aufgeräumt’, es lagen nicht wie sonst überall angefangene Skripte und Materialien herum. Alles war weg. Die Umstände von Fritz Bauers Todes geben bis heute Rätsel auf.
Mit Akribie hat die Regisseurin Ilona Ziok Archive durchforscht und wegweisende Statements des hessischen Generalstaatsanwalts ausgegraben. Um sie herum montiert sie in Form eines filmischen Mosaiks Archivmaterial mit ausgesuchten Werken klassischer und zeitgenössischer Komponisten und die Aussagen von Bauers Zeitzeugen: Freunde, Verwandte und Mitstreiter. Dabei entsteht nicht nur die spannende Handlung eines beeindruckenden Lebens, sondern auch das eindrucksvolle Porträt eines der bedeutendsten Juristen des 20. Jahrhunderts.
Deutschland 2010, 97 Minuten, Format Digital Beta, Farbe & s/w © 2010 CV Films
„Between Tragedy and Heroism:
Staging the West German Past in Ilona Ziok`s Fritz Bauer: Tod auf Raten“,
In: Colloquia Germanica, Bd. 43 (2013) 3.
Team
Buch und Regie: Ilona Ziok
Schnitt: Pawel Kocambasi
Schnittassistenz: Olmo Pini, Carolin Mader
Kamera: Jacek Blawut
Ton: Manuel Göttsching
Mischung: Hansi Jüngling
Produktionsleitung:Myriam Abeillon
Dokumentation: Dr. Thymian Bussemer
Redaktion SR: Dr. Michael Meyer und Andrea Etspüler
Produzenten: Manuel Göttsching und Ilona Ziok
Ilona Ziok
Geboren in Oberschlesien/Polen, aufgewachsen in England, Deutschland und Frankreich. Nach Studium in Frankfurt, New York und Moskau Redaktions- und Regietätigkeit für den Hessischen Rundfunk. Seit 1990 eigene Produktionsfirma. Lebt in Berlin, arbeitet als Autorin, Regisseurin, Produzentin und Event-Managerin.
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Einige Zeit nach dem Erscheinen der ersten Bauer-Biographie von Irmtrud Wojak (2009) und dem Film von Ilona Ziok (2010) veröffentlichte ein Gastwissenschaftler des nach dem Generalstaatsanwalt benannten Instituts in Frankfurt/M., der Jurist und Journalist Ronen Steinke, das Buch Fritz Bauer oder Auschwitz vor Gericht im Münchner Piper Verlag (2013). In eingeweihten Kreisen erwartete man sich davon eine Sensation. Das Privatleben des Protagonisten sollte enthüllt werden, von dem der Autor und das Institut fälschlich behaupteten, die Regisseurin Ilona Ziok habe sie unter den Tisch gekehrt.
Herausgekommen ist dabei ein angeblich schwuler Nazi-Jäger, der sich bei seiner Menschenjagd mühsam mit Tabletten und Alkohol aufrecht hält, angeblich seine SPD-Parteifreunde im KZ mit einem „Treuebekenntnis“ an die Nazis verraten hat und, als wäre das nicht schon genügend reißerisch, auch noch aus Angst vor den neuen-alten Nazis und Antisemitismus in bundesrepublikanischen Ämtern seine Herkunft aus einer Familie jüdischen Glaubens verleugnet habe. Kurze Zeit später wurde dieser Plot in einen Spielfilm über Bauer verwandelt, der all die bekannten Vorurteilsbilder rechter Tendenzen, denen hier zum Tanz aufgepielt wurde, weiter ausmalte und den historischen Fritz Bauer bis zur Karikatur seiner selbst verzeichnete.
Ein Film von Lars Kraume
Regie und Drehbuch: Lars Kraume; Produzent, Thomas Kufus, in den Hauptrollen als Fritz Bauer: Burghart Klaußner und als Staatsanwalt Karl Angermann: Ronald Zehrfeld, 105 Minuten, Deutschland 2015
„DER STAAT GEGEN FRITZ BAUER“ ODER „DER JUDE IST SCHWUL!“ – Rezension von Irmtrud Wojak
Nach „Fritz Bauer oder Auschwitz vor Gericht“ nun also: „Der Jude ist schwul!“ Überraschend ist das nicht, nachdem der Fritz-Bauer-Institut-Gastwissenschaftler Ronen Steinke im vergangenen Jahr mit seiner Enthüllungsstory über die angeblichen weißen Flecken in der Biographie des bedeutenden Juristen herauskam. (Steinke 2013) Das nach Bauer benannte Institut zog 2014 mit einer Ausstellung unter dem Titel „Fritz Bauer. Der Staatsanwalt“ (Backhaus/Boll/Gross 2014) nach.
Doch fangen wir vorn an. Der Plot des Films ist spektakulär und politisch brisant. In „Der Staat gegen Fritz Bauer“ geht es darum, dass im Nachkriegs- oder besser gesagt im Deutschland der Adenauer-Ära die Ahndung von Nazi-Verbrechen niemanden interessiert hat außer die Betroffenen selber – das ist Handlungsstrang Nr. 1. Und es geht darum, dass die Hauptfigur in dem Film all das verkörpern soll, worauf sich der Hass und der Ausrottungswille der Nazis konzentrierten.
Bauer war Sozialdemokrat und wurde als politischer Gegner verfolgt; er stammte aus einer jüdischen Familie und wurde aufgrund der nationalsozialistischen Rassegesetze verfolgt; er war ein politischer Flüchtling, dem die dänische Fremdenpolizei, die mit den Nationalsozialsten kollaborierte, erfolglos versuchte Homosexualität zu unterstellen. Die Auslieferung an das NS-Regime hätte Bauers Todesurteil bedeutet. Daraus entwickelt der Film Handlungsplot Nr. 2.“
1| Der Sozialdemokrat – ein „Landesverräter“
Fachbuchjournal, 7. Jg., Dezember 2015, S. 18 ff.
Zunächst zu Plot 1, der damit beginnt, dass der leicht dicklich wirkende Generalstaatsanwalt Dr. Bauer nackt in seiner Badewanne liegt. Eben rutscht er schon fast unter Wasser, da schwenkt die Kamera auf das Tablettenröllchen und fast leere Weinglas. Der Generalstaatsanwalt, das ist die Botschaft, hat einen Alkohol- und Tablettencocktail zu sich genommen. In letzter Sekunde wird er gerettet und aus dem Wasser gezogen, doch die Gerüchte lassen sich jetzt nicht mehr aufhalten. Der „General“ habe eine „unglückliche Mischung“ zu sich genommen, man könnte denken, er wollte sich umbringen oder sei überfordert gewesen, eine „Art Selbstmordversuch“, so heißt es hier gleich zu Beginn des Films. Der Protagonist selber will darüber natürlich nicht sprechen. Seinen besorgten Dienstherrn und Ministerpräsidenten Georg August Zinn klärt Bauer mürrisch auf, „ohne Chemie“ könne er schon lange nicht mehr schlafen, aber er habe eine Pistole, und wenn er sich umbringen wolle, dann werde es bestimmt keine Gerüchte mehr geben.
Held oder Verlierer der Nachkriegsgeschichte, schnell wird der Hauptkonflikt des Films als Plot erkennbar: Dr. Bauer gegen die Übermacht der ehemaligen Nazis, die in der Ära-Adenauer rasch wieder zu Ansehen und Wohlstand gekommen sind. „Meine eigene Behörde ist Feindesland“, sagt Bauer, es gehe überhaupt nichts voran auf der Suche nach Bormann, Mengele und Eichmann. Zutiefst misstrauisch beäugt er seine Umgebung. Als die Akte eines NS-Täters von seinem Schreibtisch „verschwindet“, während er noch im Krankenhaus liegt, stellt der deprimierte Nazi-Jäger alle möglichen Verdächtigungen an. Schließlich stellt sich heraus, dass einer der Staatsanwälte die Akte für den Dienstgebrauch von seinem Schreibtisch genommen hat. Stimmt also nicht mit dem „Feindesland“? Bauer ist blamiert.
So hustet, raucht, schnauft, schimpft und schwäbelt Bauer sich gekünstelt als merkwürdig zahnlos wirkender, weißhaariger Greis durch den Film. Ein höchst unglücklicher, verzweifelter, zum Selbstmordkandidaten erklärter „General“, der mit der Welt, in der er lebt, und mit sich selbst nicht zurechtkommen kann.
Nur wenn es um die Nazis geht, dann lebt Dr. Bauer auf. Stets und ständig ist er fanatisch auf der Suche nach alten Nazis und vor allem nach dem einen, dessen Name für die „Endlösung der Judenfrage“ steht: Adolf Eichmann. Ob er nicht gern auf die Jagd gehe, wird er gefragt, „Ja, aber nicht auf Tiere!“, schnaubt Bauer zurück. Und dann folgt schon bald wieder einer dieser grotesken Dialoge mit seinem Dienstherrn Zinn, Sozialdemokrat wie Bauer, von dem wir erfahren, er habe das Bild von Rosa Luxemburg in seinem Büro abhängen lassen. Ein linker Sozialdemokrat wie Fritz Bauer, das ist die Botschaft, sieht so etwas natürlich sofort. Wird auch Ministerpräsident Zinn ihn im Stich lassen? Der Staat gegen Fritz Bauer und der Genossen-Verrat stehen im Raum.
Bauer berichtet Zinn von seiner heimlichen Jagd auf Eichmann, dass er den israelischen Geheimdienst Mossad einschalten wird, usw., usf. Die ganze Eichmann-Story nimmt ihren Lauf, nur damit Bauer schließlich zerknirscht und ebenso naiv wie pathetisch feststellen kann: „Mein Zorn ist begleitet von Ohnmacht und die macht mich alt.“ Nach 1945 habe er gedacht, „wir hätten das Böse besiegt“, aber die Leute hätten keine Visionen gewollt, sondern bloß „Adenauers verfluchte Versöhnung, die Restauration hat die Revolution besiegt.“ Platter geht es kaum, der Sozialdemokrat Bauer, der das Böse besiegen wollte, war angeblich gegen die Versöhnung mit Israel. Suggeriert wird, Bauer habe seiner eigenen jüdischen Familiengeschichte abgeschworen, er sei ein Verräter seiner Leidensgefährten. Was für eine groteske historische Fehlinterpretation.
Der Film geht der nationalsozialistischen Rassegesetzgebung auf den Leim, der Rückgängigmachung der rechtlichen Gleichstellung der Juden. Ja, es stimmt: Bauer war assimiliert, er gehörte keiner Religionsgemeinschaft an. Wer aber Bauer vorwirft, sich nicht den Nürnberger Rassegesetzen unterworfen zu haben, positiviert den nationalsozialistischen Unrechtsstaat und begibt sich auf ein gefährlich populistisches Glatteis. Wie Fritz-Bauer-Institut-Gastwissenschaftler Ronen Steinke, der Bauer vorhält, dieser habe auf die „unschuldige Frage“ eines „jungen Freundes“: „Sind Sie eigentlich Jude?“, angeblich „nur kühl“ geantwortet: „Im Sinne der Nürnberger Gesetze: Ja.“ Der Autor fügt hinzu, deutlicher hätte Bauer nicht sagen können, dass er „darin eine ärgerliche Fremdzuschreibung sieht“. (Steinke 2014: 32) Was denn sonst, fragt man sich, sollte er darin sehen? Und wieso „nur kühl“, warum diese Distanzierung von Bauer? Wieso meint Steinke, er müsse Bauers Großvater, der für die rechtliche Gleichstellung der Juden kämpfte, gegen dessen Enkel ausspielen? (ebd.) Schließlich trat Bauer in die Fußstapfen seines Großvaters und praktizierte eben jene Religionsfreiheit, die uns unser Recht garantiert. Traut der Autor etwa seiner eigenen Interpretation nicht?
Diesen Eindruck von Selbstzweifel vermittelt auch der Film „Der Staat gegen Fritz Bauer“. Die Fußspuren, in die der Hauptdarsteller treten soll, sie sind den Autoren der Story zu groß. Sie trauen sich nicht, sich auf den Weg eines Fritz Bauer zu begeben und wiederholen lieber die alte Leier von der Vergeblichkeit menschlichen Handelns, als sich „Im Kampf um des Menschen Rechte“ auf die Seite des mutigen Generalstaatsanwalts zu stellen. So gerät ihnen ausgerechnet eine der wenigen wegweisenden Persönlichkeiten in der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts zu einer jämmerlichen Karikatur seiner selbst.
Wie um dies zu untermauern, wird ihre Story immer irrationaler. „Eichmann“, sagt Bauer zu Zinn, das wäre „ein Schlag“. „Weißt Du, wie viel Leute in Frankfurt nicht mehr schlafen können, wenn wir ihn auf die Anklagebank setzen?“ Und schon ist er wieder da, der sich rächende Jude, den nur die Jagd auf Eichmann noch am ihm sinnlos scheinenden Leben hält. Er solle sich nicht selbst Leid tun, ermahnt Film-Ministerpräsident Zinn dementsprechend seinen „General“. Und Israel einzuschalten in die Suche nach Eichmann: „Das ist Landesverrat!“ Zinn hält das für keine kluge Entscheidung, aber er lässt Bauer gewähren. Immer noch empört verlässt dieser das Ministerium, nicht ohne Zinn noch mitgeteilt zu haben: „An meinem Patriotismus sollte es wohl keinen Zweifel geben.“
2| „Der Jude ist schwul!“
Plot 1 läuft auf seinen Höhepunkt zu. Das Bundeskriminalamt kommt Bauer auf die Spur seiner heimlichen Suche nach Eichmann und will, gerade noch rechtzeitig, um einzuschreiten und Bauer unter besondere Beobachtung zu stellen, entdeckt haben: „Der Jude ist schwul!“, wie Oberstaatsanwalt Kreidler vielsagend feststellt. Es kommt zum höhnischen Schwure: „Wenn wir ihn mit irgendeinem Kerl erwischen, dann ist er erledigt. … Selbst ein Mönch muss irgendwann mal bumsen.“ Als Beglaubigung von Bauers Homosexualität wird im Film die Fremdenpolizeiakte aus Dänemark eingeführt, dabei beweist sie, wie eingangs gesagt, nichts außer die Verdächtigungen, mit denen die Polizei den politischen Flüchtling unter Druck setzte.
Von da an steuert der Film vor dem Hintergrund der sattsam bekannten Eichmann-Story, in der auch die angebliche Liebesgeschichte des Eichmann-Sohnes Nick mit der Tochter eines KZ-Überlebenden nicht fehlt (obwohl sie nicht stimmt, das Mädchen war in Wirklichkeit zwölf Jahre alt), auf das Ende und gleichzeitig wieder auf den Anfang der Story zu.
Plot 2 bestimmt von jetzt an die Story: Der Jude Bauer, er war heimlich schwul. Auf seiner fanatischen und ebenso heimlichen Suche nach Eichmann vertraut er sich seinem gut aussehenden jungen Lieblingsstaatsanwalt Angermann an, der wiederum gerade seine eigene Homosexualität entdeckt. Bauer erkennt dies im Film noch vor Angermann selbst, wozu ihm ein Blick auf dessen karierte Socken genügt, als er den jungen Mann – vertraulich, versteht sich – zum Gespräch über Adolf Eichmann in seine Privatwohnung einlädt. Im Hintergrund läuft Tschaikowskys „Symphonie Pathétique“. Die Weichen sind gestellt oder besser gesagt, die Sex and Nazi-Crime Story nimmt ihren Lauf. Ein aller Lust entsagender Jude und „Nazi-Jäger“ verführt einen unsicheren jungen Staatsanwalt, sich vom Pfad der Tugend weg mit ihm auf die Nazi-Jagd zu begeben.
Im Film zeigt sich Angermann zunächst jedoch zurückhaltend: „Wir begehen Landesverrat“, sagt auch er. Bauer ist empört: „Wollen Sie etwas für unser Land tun oder eine neue Küche? Wenn wir etwas für unser Land tun wollen, dann müssen wir es in diesem Fall verraten.“ Die Dolchstoßlegende lässt grüßen. Ein linker Sozialdemokrat verrät die ehemaligen Nazis an Israel. Angermann wirft Bauer seine Rachsucht vor: „Sie klingen immer mehr wie Ihre Gegner…“ Woraufhin Bauer auch noch selber der Schlüsselsatz in den Mund gelegt wird: „Sie meinen wie ein rachsüchtiger Jude!“
Angermann erbittet Zeit zum Nachdenken und es kommt, wie es (dramaturgisch gesehen) kommen muss. Es gelingt Bauer, den unsicheren jungen Mann, der kurz vor seinem coming out steht, auf seine Seite zu ziehen. Bald schon offenbart ihm Angermann seine sexuellen Neigungen, woraufhin Bauer sich ebenfalls erklärt: „Ich habe schon seit einiger Zeit das Gefühl, dass wir ähnliche Interessen haben. … Meine Frau Anna-Maria und ich leben schon seit vielen Jahren getrennt, sie in Kopenhagen und ich hier. Ich denke, dass das eine der glücklichsten Ehen überhaupt ist. Wenn ihre Frau ein guter Kamerad ist, dann brauchen Sie keine Angst zu haben, Kinder groß zu ziehen. Ich denke, dass Sie ein phantastischer Vater sind.“ (1) Staatsanwalt Angermann ist nämlich wie Dr. Bauer verheiratet und ausgerechnet am Tag nach seinem coming out offenbart ihm seine Frau, dass sie schwanger ist, natürlich. Bauer ermahnt Angermann, dass er seinen Liebhaber nicht mehr sehen darf, sie beide müssten entsagen. Ihre Freundschaft wird schon bald auf die Probe gestellt.
3| Der „Nazi-Jäger“, ein linker Antisemit?
Zunächst aber passiert, was in Plot 1 noch passieren muss. „Ich muss die lebenden Juden von Israel verteidigen, nicht die Toten. … Ich muss meine Leute gegen unsere arabischen Feinde einsetzen“, hat Israels Geheimdienstchef Isser Harel, der jiddisch mit Bauer spricht, den auf die Verhaftung Eichmanns drängenden Dr. Bauer eben erst im Film aufgeklärt. Und dem israelischen Generalstaatsanwalt Haim Cohn hat der „Nazi-Jäger“ bei einer seiner Reisen nach Jerusalem, die der Ergreifung Eichmanns dienten (tatsächlich fanden diese Treffen übrigens in Tel Aviv statt), eben noch zugerufen: „Wenn Sie Eichmann haben, werde ich einen Auslieferungsantrag an Israel stellen. … Eichmann muss in Frankfurt vor Gericht. Wir müssen die Deutschen mit ihrer Vergangenheit konfrontieren.”
Doch in derselben Sekunde, in der Bauer die Nachricht vom Erfolg der Eichmann-Entführung bekommt, sieht er im Fernsehnen den israelischen Ministerpräsidenten Ben Gurion zusammen mit Bundeskanzler Adenauer, wie sie sich zur (eingangs im Film von Bauer kritisierten) deutsch-israelischen Versöhnung gratulieren. Adenauer: „Das deutsche Volk empfindet tiefe Genugtuung, dass durch die Wiedergutmachung für Opfer des Nazismus ein Beitrag für den Aufbauprozess Israels geleistet wird.“ Ben Gurion: „Ich sagte in der Knesset, das Deutschland von heute ist nicht mehr das Deutschland von gestern. Ich wünsche dem Kanzler Erfolg bei seinem Bemühen, Deutschland auf dem Weg zur Demokratie und internationalen Zusammenarbeit zu führen.“ (2) Bauer schaltet entnervt den Fernseher ab. Dies ist, abgesehen von einer kurzen Rede Bauers über Eichmann als Intro zum Film, die einzige längere historische Filmeinspielung in „Der Staat gegen Fritz Bauer“.
Suggeriert wird, dem „Nazi-Jäger“, Sozialdemokrat und „schwulen Juden“, der sich angeblich nicht zur jüdischen Geschichte bekennen will, seien die politischen Entwicklungen und der Staat Israel gleichgültig gewesen, er habe immer bloß seine „Nazi-Jagd“ im Kopf gehabt. Ausgerechnet Fritz Bauer, der Kämpfer für die Menschenrechte und Gleichheit vor dem Recht, der trotz aller Widerstände den von den Nazis verübten Genozid, Verbrechen der Wehrmacht und die NS-„Euthanasie“ vor Gericht brachte, der gegen die Spitzen der eigenen Zunft ermitteln ließ (der Einstellungsbeschluss erfolgte bald nach seinem Tod) – ein „linker Antisemit“?
Immer verworrener und irrationaler, vor allem nationalistischer wird das Geschichtsbild. Der staatliche Geheimdienst Israels jagt keine Nazis, weil er seine Leute braucht, um die arabischen Feinde zu vernichten, und die verantwortlichen staatlichen Stellen in Deutschland jagen keine Nazis, weil die ehemaligen Judenverfolger wieder in ihren Ämtern sitzen und mit Israel Geschäfte machen. Das rentiert sich nämlich besser, wie auch Dr. Bauer nun im Film bald erfährt. Als hätte es keine Alternativen gegeben, wird die Geschichte entsorgt und sitzen Israel und Deutschland selbstvergessen in einem Boot: Die einen wollen die Nazi-Vergangenheit auslöschen, um wieder ein „normaler“ demokratischer Staat zu werden, die anderen die Araber, um den Aufbauprozess Israels zu verteidigen. Simpler geht es wohl nicht.
4| Das letzte „Geheimnis“ Fritz Bauers wird gelüftet
Zur gänzlichen Auflösung der filmischen Handlung kommt es, als die Entführung Eichmanns dem „Nazi-Jäger“ angeblich die Zunge löst. Ist es Alkohol (wie ja eingangs des Films bereits suggeriert) oder Siegestrunkenheit, die Bauer wieder einmal zur Selbstentblößung treibt? Er feiert mit Staatsanwalt Angermann, seinem einzigen Vertrauten, den Eichmann-Erfolg in einer Kneipe bei Äppelwoi und, in vino veritas, nun lüftet er das letzte seiner drei „Geheimnisse“: Er selbst hat seine Genossen verraten und sich den Nazis unterworfen.
Auf dem Heimweg aus der Kneipe erzählt er die Story dem entgeisterten Angermann, wie er mit dem Stuttgarter Reichstagsabgeordneten Kurt Schumacher ins KZ gesperrt wurde und dessen Standhaftigkeit bewunderte, während er selbst kleinmütig gewesen sei: „Aber ich, ich habe mich in einem offenen Brief den Nationalsozialisten unterworfen“, sagt der müde „General“, „den druckten die in der Zeitung, der Sozialist Bauer unterwirft sich, so kam ich raus, ich hab’ mir das niemals verziehen, Schumacher unterwarf sich nicht, man darf sich der Tyrannei niemals beugen, Karl, niemals. Ich muss jetzt hoch, vertrag nix mehr.” Und damit verschwindet Dr. Bauer in seiner Wohnung.
Ist es Naivität oder Absicht, schon wieder folgt die Handlung der Logik des Nazi-Regimes, das seine Gegner gegeneinander ausspielte. Weder das Unterwerfungs- noch Bauers angebliches Reuebekenntnis existiert, und diejenigen, die das glauben machen wollen, haben bis heute kein einziges Original präsentiert, sondern immer nur Bauers Leben und Werk beschädigt. Es gibt ein von den Nazis in ihrer Parteizeitung gedrucktes (also kein handschriftliches!) angebliches Treuebekenntnis, unter dem neben anderen Namen „Hauer“ und nicht „Bauer“ steht. Eine handschriftliche Unterschrift von einem der angeblichen SPD-Verräter gibt es überhaupt nicht.
5| Der unbelehrbare „Nazi-Jäger“ – selber ein Nazi?
Was der geplagte Generalstaatsanwalt zu dem Zeitpunkt im Film noch nicht weiß ist, dass sein junger Freund Angermann aufgeflogen ist. Dieser geht zur Feier des Tages zu seinem transsexuellen Liebhaber, der vom BKA gekauft war, der wiederum Bauer und Angermann die ganze Zeit hat beobachten lassen. Der BKA-Mann hält dem jungen Staatsanwalt die inkriminierenden Fotos vor die Nase, genüsslich eins nach dem anderen, und erpresst ihn damit: Angermann soll Dr. Bauer des Landesverrats beschuldigen wegen seines Hinweises auf Eichmanns Aufenthaltsort an den Mossad. Als Alternative bleibe ihm selbst nur, wegen Vergehens gegen § 175 ins Gefängnis zu gehen.
Es kommt zum Showdown: Zunächst informiert Ministerpräsident Zinn den zutiefst enttäuschten „Nazi-Jäger“ Dr. Bauer, dass die Bundesregierung keinen Auslieferungsantrag für Eichmann stellen wird. „Weißt Du nicht, warum sich Ben Gurion und Adenauer getroffen haben? Israel will deutsche Waffen kaufen, … die Israelis brauchen deutsche Waffen.” Eine Anspielung auf die Geheimdiplomatie und Verabredungen zwischen Ben Gurion und Adenauer in New York, die zu deutschen Waffenlieferungen an Israel führte, was gerne schon mal sowohl aus deutscher, als auch israelischer Staatsraison mit der „Wiedergutmachung“ (ein verharmlosender Begriff) vermischt wird. Doch Dr. Bauer soll ja ohnehin beides gleichgültig gewesen sein: „Mein Erfolg wäre es gewesen, wenn Eichmann vor einem Gericht in Deutschland all die Nazis benannt hätte, die heute als Kriegsgewinnler diese Republik anführen.“ Zinn: „Es werden andere Chancen kommen.“ Bauer: „Aber nicht mehr für mich.” Er ist deprimiert.
Auf der Rückfahrt im Auto bekennt er seinem jungen Staatsanwalt, dass er sein Amt niederlegen will. Er dürfe das nicht, sagt Angermann, doch Bauer sinniert weiter, die beiden Staatsanwälte Vogel und Kügler seien da an etwas dran: „Wir könnten Auschwitz vor Gericht bringen, ein Querschnitt durch das ganze Lager, aber ich glaube nicht mehr daran, sie finden immer einen Weg, uns zu stoppen.” Damit endet Handlungsplot 1, Bauer ist der Verlierer, alles was sich zu Beginn bereits angekündigt hat, ist wahr geworden: Die Restauration hat gewonnen.
Doch auf den Generalstaatsanwalt wartet noch eine weitere bittere Stunde. Angermann nämlich steigt plötzlich aus dem Dienstwagen und übergibt Bauer gleichzeitig die inkriminierenden Fotos, die das BKA von ihm und seinem Liebhaber gemacht hat. Er stellt sich der Polizei und wird zum Entsetzen Bauers abgeführt, dem im selben Augenblick klar wird, dass sein Freund erpresst wurde, ihn aber nicht verraten hat.
Mit geballter Faust kehrt Bauer am nächsten Tag zurück in sein Büro, wo ihn bereits Oberstaatsanwalt Kreidler (der Mann mit dem BKA-Kontakt) erwartet. Ob er in der Sache des Staatsanwalts Angermann befangen sei, wird Bauer gefragt. Er verneint. Einmal Verräter, immer Verräter, lautet die Botschaft. Ebenso wie Bauer sich angeblich den Nazis unterworfen hat, unterwirft er sich jetzt den Bestimmungen des § 175. Sein letzter Satz, der den Film beschließt, lautet: „Tun Sie Ihre Arbeit. Aber seien Sie sicher, ich werde meine tun. Solange ich lebe hält mich niemand mehr davon ab.“
Damit schließt sich der Kreis: Fritz Bauer, der angebliche Verräter der Juden und Sozialdemokraten, er soll auch noch zum Verräter an den Homosexuellen geworden sein. Das ist die missratene und gewiss nicht unschuldige Botschaft dieses Films. All das, wogegen Bauer sein Leben lang gekämpft hat, soll er selbst gewesen sein. Er, der Ungehorsam und Widerstand gegen staatlich usurpierte Gewalt zur Pflicht erklärte, der gegen die Nazis kämpfte und dabei sein Leben riskierte, der KZ-Haft und Exil durchlitt, soll selbst einer jener gesetzeshörigen Pflichtenmenschen und Juristen gewesen sein, als Ungehorsam und Widerstand notwendig waren. Die Opfer und Überlebenden werden mit den Tätern über einen Kamm geschoren, als hätte es keinen Widerstand und keine Hilfe gegeben und vor allem, als seien nach 1945 alle Opfer und Überlebende gewesen – auch die Millionen überzeugten Nazis, aus denen wie durch Wunder von einem Tag auf den anderen überzeugte Demokraten wurden.
Wer die Geschichte Bauers kennt, dem kommt dieser Film wie ein Spuk vor, doch das ist er leider nicht. Wieso wird, anstatt Fritz Bauers beispielhafte und mutige Geschichte zu erzählen, die wahrhaftig genügend spannenden Stoff für ein Filmepos bietet, die Privatsphäre und Honorigkeit eines Menschen derartig angezweifelt, ja verletzt? Er kann sich schließlich nicht mehr wehren! Wieso wird mit Unterstützung des nach Bauer benannten Instituts (Werner Renz und Raphael Gross, der dort bis vor kurzem Direktor war, sind als Berater genannt) und von seinem Gastwissenschaftler Ronen Steinke, an denen sich der ganze Film orientiert, ein derartig selbstvergessenes Geschichtsbild in die Welt gesetzt, als hätte es Widerstand und den Überlebenskampf der Verfolgten und Opfer während der NS-Herrschaft nicht gegeben? Sollte all das wirklich schon vergessen sein?
Autorin: PD Dr. Irmtrud Wojak, Historikerin und Ausstellungskuratorin, ist Biographin von Generalsstaatsanwalt Dr. Fritz Bauer. Sie ist Geschäftsführerin der gemeinnützigen BUXUS STIFTUNG GmbH (München).
Man möchte meinen, damit genug der „Demontage des Generalstaatsanwalts Dr. Fritz Bauer“, die Erardo C. Rautenberg, damals Brandenburgs Generalstaatsanwalt, in der Wochenzeitschrift DIE ZEIT und der Bremer Journalist und Autor Kurt Nelhiebel, im Berliner TAGESSPIEGEL sowie in zahlreichen Artikeln publik machten. Doch es erschien auch noch ein hollywoodträchtiger tränenrühriger Spielfilm über den Auschwitz-Prozeß (IM LABYRINTH DES SCHWEIGENS, 2014, Regisseur Giulio Ricciarelli), in dem Fritz Bauer wie eine Art Guru die Fäden im Hintergrund zieht, sich aber angeblich nicht wirklich für die NS-Prozesse interessiert hat (was ziemlich absurd ist).
Gelungen ist dagegen eine DVD mit dem Original-Fritz Bauer („Gespräche, Interviews und Reden aus den Fernseharchiven 1961-1968“, Redaktion: Bettina Schulte-Strathaus), die – ebenfalls 2014 – von absolut Medien GmbH veröffentlicht wurde. Die DVD ist ausgesprochen sehenswert und enthält auch das vielleicht bekannteste Gespräch mit Dr. Fritz Bauer in der Sendereihe des Hessischen Rundfunks „HEUTE ABEND KELLERKLUB“, das 1964 aufgezeichnet wurde und auf You Tube abrufbar ist. Es ist immer gut um nicht zu sagen, den Protagonisten der Geschichte selbst zuzuhören.
Junge Leute diskutieren mit Prominenten
Hessischer Rundfunk, Erstausstrahlung 8. Dezember 1964, 20.45 Uhr, im Hessischen Fernsehen III, 50‘12
Das KELLERCLUB-Gespräch mit Generalstaatsanwalt Dr. Fritz Bauer fand ein Jahr nach dem Beginn des Auschwitz-Prozesses statt, der den aktuellen Hintergrund der Diskussion bildet. Die Studiorunde mit Studierenden, obwohl sie betont locker wirken soll und man bei Getränken und im Zigarettendunst diskutiert, wirkt seltsam steif und bieder, von einer 68er-Bewegung ist noch nichts zu spüren. Der Lebhafteste unter den Anwesenden ist Generalstaatsanwalt Dr. Bauer, der auch nicht verschweigt, welche Schwierigkeiten er persönlich hat und wie ihn die Prozesse mitnehmen. Der Jurist geht vor allem auf die aktuellen politischen Gefahren von rechts er ein, erklärt seine Kritik an der Verjährung von NS-Verbrechen und warum er sich für eine Resozialisierung von Straftätern einsetzt.
Es gibt kein Interview und keine andere Diskussionsrunde, die Generalstaatsanwalt Dr. Bauers Haltung gegenüber der Nazi-Vergangenehit und den Erfordernissen der Gegenwart deutlicher machen könnte.
Er nimmt Stellung zu Nationalismus und Antisemitismus, zu der Frage, ob ein Hitler noch eine Chance in der Bundesrepublik hätte. Freunde und Feinde Bauers beschäftigte dieses Thema damals, hatte er doch im Jahr zuvor einer dänischen Boulevard-Zeitung ein Interview gegeben und seine Zweifel geäußert, das wir vor einem neuen Hitler gefeit wären. Bauer brachte diese Auffassung zum wiederholten Male in Konflikt mit seinen politischen Gegnern, vor allem mit der CDU. Nach dem Interview lösten die Konservativen einen Sturm der Entrüstung aus, war es doch das erklärte Ziel der CDU, einen Schlussstrich unter die Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte zu ziehen. Die Christdemokraten wollten sich im Wirtschaftswunderland Westdeutschland nicht länger von den Warnungen und Mahnungen der Opfer und Überlebenden stören lassen.
„Aufklärung im Kellerclub“
Das Gespräch im KELLERCLUB wurde von der Filmregisseurin und Produzentin Ilona Ziok für ihren Film FRITZ BAUER – TOD AUD RATEN (CV FILMS, 2010) ausgewertet. Bauers Argumentation in der Diskussionsrunde nutzte sie als „roten Faden“ für den Plot ihres Dokumentarfilms, der daher besonders authentisch ist. Zioks Film ist der erste Film, der sich ernsthaft um eine Darstellung von Bauers Bedeutung für die demokratische Entwicklung nach 1945 bemüht und diese beleuchtet hat, wozu HEUTE ABEND KELLERCLUB einen gelungenen Einstieg bietet.
Daniel Kothenschulte schrieb über den Film von Ilona Ziok und die Atmosphäre der damaligen Zeit in der Frankfurter Rundschau unter dem treffenden Titel „Aufklärung im Kellerclub“:
„Ilona Zioks Dokumentarfilm beginnt in einer gemütlichen Talkshowkulisse. Als sich diese Sendeform im deutschen Nachkriegsfernsehen etablierte, gab es lange Zeit dafür nur ein Ambiente: den gemütlichen Stammtisch. Was weniger alltäglich gewesen sein dürfte: Man redet an diesem Abend des Jahres 1964 über Auschwitz. Im satten Schwarzweiß sind die Röhrenkameras auf einen freundlichen älteren Herrn gerichtet, der sich von der leutseligen Bier- und Apfelweinatmosphäre gänzlich unbeeindruckt zeigt. Es ist Fritz Bauer, der profilierteste Staatsanwalt seiner Zeit und Initiator der Frankfurter Auschwitzprozesse. Sein zerklüftetes Gesicht hinter der massiven Hornbrille lässt ihn älter erscheinen als seine einundsechzig Jahre. Dennoch wirkt er jung in seiner Diktion und positiven Energie. Klar und mit druckreifer Präzision beantwortet er Fragen von Studenten: ‚Wir haben ja einiges getan, als wir die Bundesrepublik schufen. Im Grundgesetz haben wir eine Demokratie (…). Aber was Sie brauchen, sind die richtigen Menschen, die diese Dinge leben.’“
Der Rezensent trifft den wunden Punkt, der im KELLERCLUB Gespräch eine knappe Stunde lang gegenwärtig ist, aber nur an einer Stelle von Bauer selbst angesprochen wird. Am liebsten hätten seine politischen Gegner ihm den Mund verboten und er fühlte von allen Seiten die Wände auf sich einstürzen.
Kothenschulte spricht auch das an: „‚Ich hoffe, nicht ohne Logik gesagt zu haben, was geschehen müsste, um Grausamkeiten zu vermeiden, wie sie der Gegenstand der Prozesse sind und nicht zuletzt in einem atomaren Zeitalter wieder geschehen können‘, hatte Bauer einen seiner Aufsätze über seine juristische Erinnerungsarbeit geschlossen. ‚Nichts gehört der Vergangenheit an. Alles ist noch Gegenwart und kann wieder Zukunft werden.’“ Die Broschüre, in der das nachzulesen ist, wurde als „Vaterlandslosigkeit“ im Jahr 1962 für den Schulgebrauch in Rheinland-Pfalz verboten: …“und das Kulturministerium scheute sich nicht, einen jungen CDU-Politiker zu einem öffentlichen Streitgespräch mit Bauer zu entsenden. Die Zeit sei noch nicht reif für eine Aufarbeitung, meinte der aufstrebende Parteifunktionär kategorisch, sein Name: Helmut Kohl.“ (1)
HEUTE ABEND KELLERCLUB ist frei zugänglich und im Internet auf verschiedenen Seiten verfügbar.
Fotos: Standbilder aus dem Kellerclub-Gespräch am 8. Dezember 1964
Anmerkungen und Literatur
(1) Daniel Kothenschulte, „Aufklärung im Kellerclub“, in: Frankfurter Rundschau, 22. November 2010.
Ganz besonders zu erwähnen ist ein deutscher Spielfilm des Berliner Regisseurs Christian Petzold, der das Filmdrehbuch gemeinsam mit Harun Farocki (1944-2014) verfasste. C. Petzold widmete den Film „PHOENIX“ 2014 Generalstaatsanwalt Dr. Bauer, weil er Jahre zuvor im Jüdischen Museum einen Film über die Frankfurter Auschwitz-Prozesse gesehen hatte. Der Film ist in jeder Hinsicht merkwürdig und überzeugt durch seine ungewöhnliche Offenheit im Umgang mit der Geschichte des Nationalsozialismus und dessen Weiterleben nach 1945. Die Kulturredakteurin der TAZ, Christina Nord, hat in ihrer Rezension unter dem Titel „Aus dem Reich der Toten“ benannt, warum der Film auch hier ausdrücklich hervorgehoben wird:
„Die Klarheit, mit der ‚Phoenix‘ die Möglichkeit einer Liebe zwischen einem nichtjüdischen Deutschen und einer jüdischen Deutschen verwirft, macht es unmöglich, die NS-Verbrechen aus den Augen zu verlieren. Es ist etwas Fundamentales geschehen, und dem muss man sich stellen. Nicht umsonst ist der Film Fritz Bauer gewidmet, dem Remigranten, der als erster Staatsanwalt in Westdeutschland dafür sorgte, dass Naziverbrecher vor Gericht gestellt wurden.“ Im Gegensatz zu DER STAAT GEGEN FRITZ BAUER oder IM LABYRINTH DER SCHULD ist C. Petzolds Film nicht dem Mainstream weichgespülter deutscher Erfolgsgeschichte angepasst, die Deutschen sind für ihn kein Volk von Opfern und er ist auch nicht auf der Suche nach einer „nationalsozialistischen Moral“ anständig gebliebener Deutscher – ein Film über geschichtliche Wahrheit(en), verratene Liebe und offene Fragen.
Ein Film von Christian Petzold
Regie: Christian Petzold; Drehbuch: Christian Petzold und Harun Farocki; Produktion: Schramm Film Koerner & Weber; in den Hauptrollen als Nelly Lena: Nina Hoss, Johnny Lenz: Ronald Zehrfeld, Lene Winter: Nina Kunzendorf, Elisabeth: Imogen Kogge; 98 Minuten, Deutschland 2014
PHOENIX ist ein Kinofilm, der ohne falsche Beschönigungen und ohne falsche Moral die Atmosphäre der Nachkriegsjahre in Deutschland, man kann auch sagen des „Nach-dem-Massenmord“, widerspiegelt. Es geht um verlorene und verratene Liebe und darum, was eigentlich Überleben ist und bedeutet. PHOENIX ist ein mutiger Film über eine Frau, die das Konzentrationslager Auschwitz überlebt hat und die danach, im Herbst 1945, ohne jede Selbstschonung die Suche nach der eigenen Geschichte beginnt.
Die Story ist im Grunde nicht kompliziert und hat sich öfters ereignet, so oder ähnlich, auch wenn wir ungern oder selten darüber nachgedacht haben. Eine junge Frau, sie heißt Nelly, kehrt zurück in ihre frühere Heimatstadt Berlin. Sie hat das nationalsozialistische Vernichtungslager überlebt, wohin der Verrat ihres Mannes Jonny sie gebracht hat, der jetzt, im zerstörten Nachkriegsberlin, selbst ums Überleben kämpfen muss. Das Gesicht der Frau wurde von den Nazis durch Schüsse zerstört und sie musste auch nach ihrer Befreiung weiter ums Überleben kämpfen. Jetzt aber will sie ihre eigene Identität zurückgewinnen und wissen, was geschehen ist, bevor sie nach Auschwitz deportiert wurde. Währenddessen fällt ihrem Mann, der die eigene Frau scheinbar nicht wiedererkennt, nichts Besseres ein, als ihr – möglichst eins zu eins – das frühere Gesicht und Aussehen zurückzugeben. Auf diese Weise will er sich das Erbe seiner Frau doch noch von ihren Verwandten erschleichen, um aus der eigenen Nachkriegsmisere heraus und wieder zu Geld zu kommen.
Ob dem Mann der Coup gelingt, mit dem er sich befreien will, lässt der Film nicht offen, ist aber unwichtig. Entscheidend vielmehr, dass existenzielle Fragen aufgeworfen und – was für einen deutschen Film, der von Auschwitz und dem Umgang mit unserer Geschichte danach erzählt, ungewöhnlich ist – die fertigen Antworten nicht schon mitgeliefert werden.
Die Geschichte, diese vor allem, das ist eine der Aussagen des Films, ist nicht zu Ende. Das Merkwürdige an PHOENIX ist, dass der Film das schlechte Gewissen, die Schuldgefühle derjenigen, die sich selbst und unser Menschsein verraten haben, zwar immer wieder andeutet, doch gerade indem er sie nur andeutet, die Verdrängungsmechanismus deutlich macht, die nach 1945 weiterhin praktiziert wurden, um die Verantwortung den Anderen, den Opfern zuzuschieben. Bloß um genau da weitermachen zu können, wo die meisten Deutschen auch schon vor oder nach 1933, als die Nazis an die Macht kamen, das eigene Gewissen an ein angeblich „Höheres“ abgegeben hatten, sei es nun ihr „Führer“ oder die Staatsautorität.
Anders als Filme wie DER STAAT GEGEN FRITZ BAUER, der Opfern und Überlebenden – in dem Fall Generalstaatsanwalt Dr. Bauer – einseitig die Rolle der Rächer und fanatischen „Nazi-Jäger“ zuschreibt, oder wie IM LABYRINTH DES SCHWEIGENS, der aus dem Leid der Opfer ein Rührstück der Restaurationsjahre macht, gegen die einzelne Rebellen in der Justiz heldenhaft ankämpften, konfrontiert PHOENIX die Zuschauerinnen und Zuschauer mit einer Realität, in der Opfer und Überlebende auch nachträglich für eigene Zwecke instrumentalisiert werden.
Was vielleicht am Verstörendsten wirkt und durch den Titel PHOENIX angedeutet wird, ist eine entscheidende Aussage des Films: Es sind die Opfer und Überlebenden, diejenigen, denen die Nazis ihr Leben rauben wollten, die sich ihre eigene Geschichte und Identität bewahrt haben, rückblickend auf die NS-Herrschaft vielleicht sogar als die Einzigen. Sie haben damit sich und uns gerettet, denn niemand konnte Auschwitz überleben ohne eine eigene, ohne die menschliche Geschichte, die Hilfe von einem Menschen, der im entschiedenen Augenblick da war.
Christian Petzolds Film ist einer über den Widerstand der Opfer und Überlebenden. Eine Geschichte, die gern verdrängt wird. Fritz Bauer hat sie uns in den NS-Prozessen als Möglichkeit und Alternative vor Augen geführt. Ihm ist dieser besondere Film gewidmet.
Weblink: PHOENIX (Christian Petzold, 2014), die offizielle Filmwebseite
Der mediale „Hype“ um Fritz Bauer in den Jahren 2014/15 brachte manche und vor allem Historiker auf die Palme, eine „Fritz Bauer-Welle“ wurde ausgerufen und ein bekannter Zeithistoriker, Norbert Frei, gab zu bedenken , hier werde ein „Held“ gemacht. Was ja im Falle Fritz Bauer so schlimm nicht gewesen wäre und Bundesjustizminister Heiko Maas beispielsweise scheut sich auch nicht, den Juristen als solchen zu benennen. Jedenfalls wurde schon bald nach L. Kraumes Spielfilm der nächste Film angekündigt, ein „Politdrama“ mit dem Titel DIE AKTE GENERAL. Regie führte Stephan Werner, Produzenten sind Nico Hofmann und Benjamin Benedict.
Wie DER STAAT GEGEN FRITZ BAUER wirbt auch dieser Film mit Fritz Bauers angeblich „heimlicher Sexualität“ und nutzt die Jagd nach Adolf Eichmann als Aufreißer. Ob Regisseur und Produzenten nichts Neues eingefallen ist?
Ein Film von Stephan Wagner
Buch: Alexander Buresch; Produzent: Nico Hoffmann; in den Hauptrollen als Dr. Fritz Bauer: Ulrich Noethen, als Staatssekretär Dr. Hans Globke: Bernhard Schütz und als Bundeskanzler Adenauer: Dieter Schaad sowie David Kross als junger Staatsanwalt Joachim Hell
DIE AKTE GENERAL oder „Ein warmer Bruder“ – Rezension von Irmtrud Wojak
Eine „Planungspleite auf Öffentlich-rechtlich“ nannte Jochen Hieber in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (24. Februar 2016), dass DIE AKTE GENERAL (Regie: Stephan Wagner) und DER STAAT GEGEN FRITZ BAUER (Regie: Lars Kraume) parallel gedreht und kurz hintereinander im Kino beziehungsweise Fernsehen zu sehen waren. Dopplung von Stoff und Handlung komme beiden Filmen nicht zugute.
Tatsächlich könnte, wer DER STAAT GEGEN FRITZ BAUER kennt, glauben, Regisseur Stephan Wagner habe die Story von der AKTE GENERAL bloß auf etwas betulicher und fernsehtauglicher fürs Abendprogramm umschreiben lassen, so ähnlich sind sich die Plots. Wieder geht es um den „Nazi-Jäger“ Bauer und die Suche nach Adolf Eichmann, wieder gibt es einen jungen Staatsanwalt, der zum Verräter wird und für den Bonner Geheimdienst, genauer gesagt das Bundeskriminalamt, Spitzeldienste leistet, wegen Bauers Kontakten nach Ostberlin. Wieder ist es Bauers angebliche Homosexualität, die herhalten muss, um die Geschichte interessanter zu machen und aufzupeppen: „Ich wünschte, die Richter hätten vor den Nazis genauso viel Angst, wie vor den Homosexuellen“, heißt es vielsagend zu Beginn aus Bauers Mund. Was man so vielsagend nennt, denn wieder fliegt der Verräter auf und Fritz Bauer muss erkennen, das er allein dasteht im Kampf gegen die Nazis und – in diesem Film – vor allem gegen Adenauers Staatssekretär Dr. Hans Globke.
In dem ganzen Intrigen- und Verwirrspiel wirkt der ständig rauchende Dr. Bauer verloren. Keine Person geschweige denn Persönlichkeit ist hinter der Hauptfigur wirklich erkennbar. Nur ab und an, in seltenen Originalzitaten, ist, anders als in DER STAAT GEGEN FRITZ BAUER, der wahre Dr. Bauer erkennbar – und ein Schauspieler, der diesen weitaus besser erkannt hat, als sein Vorgänger in der Rolle.
Allein in der Oper in Frankfurt findet der durch rasche Filmschnitte noch getriebener wirkende Generalstaatsanwalt den nötigen Abstand vom Alltag. Nicht zuletzt, weil er dort von jungen Männern umgeben ist, die er auch gerne mal zu sich in die Wohnung einlädt. Es fehlt nicht der nackte Jüngling, der durch Bauers Junggesellenbehausung huscht, so schnell, dass den Flitzer leicht verpasst, wer aus Langeweile eine Sekunde lang in die Kartoffelchipschale greift.
Alles also nicht so schlimm, jedenfalls nicht so schlimm, wie in DER STAAT GEGEN FRITZ BAUER, wo der junge Staatsanwalt aus Lust zum Verräter an Dr. Bauer wird und am Ende selbst im Gefängnis landet. In DIE AKTE GENERAL erteilt Bauers Ehefrau allen Beteiligten vorsorglich die Absolution. Sie hat mit der Vorliebe ihres Mannes für „junge Männer“ nämlich kein Problem, sagt sie, und schließlich versichert dieser selbst: „Alles nur platonisch. Ich bin Staatsanwalt.“ Und der betäubt seinen Kummer und vermeintliches Begehren – wir wissen es schon aus dem Vorgängerfilm – mit Rotwein und Tabletten.
Bleibt nur die Frage, was eigentlich der Kern der Story ist? Ist es der Mann hinter Adenauer, Dr. Globke, den Bauer im Kanzleramt bei seiner Jagd nach Eichmann aufsucht, während dieser ihn für einen „warmen Bruder“ hält und beobachten lässt? Der eignet sich nur leider so gar nicht zum Antihelden, ebenso wenig wie Adenauer, der in dem Film quasi ständig mit seinem „Freund Ben Gurion“ zu sprechen scheint und dabei immer nur hört, dass er alles richtig gemacht hat, bei der Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit. Auch hier also ein bagatellisierender, die wirkliche Geschichte verharmlosender Ton.
In der Jüdischen Allgemeinen (18. Februar 2016) hat Jörg Taszman geschrieben, der Film sage alles (Bauer der Jude, Bauer der Sozialdemokrat und Emigrant, Bauer ist homosexuell), nur eines werde verschwiegen, nämlich was wir aus Ronen Steinkes Buch (Fritz Bauer oder Auschwitz vor Gericht, 2013) über den Juristen erfahren haben sollen: dass Bauer ein zwiespältiges Verhältnis zum Judentum hatte.
Tatsächlich ist es genau umgekehrt.
Das Drama des Lebens von Fritz Bauer, der nicht im Geringsten ein zwiespältiges Verhältnis zum Judentum hatte, kommt weder in DER STAAT GEGEN FRITZ BAUER noch in DIE AKTE GENERAL vor. Fritz Bauers Mut und seine Überzeugung werden in DIE AKTE GENERAL erneut durch banale Nebenschauplätze und Intrigenspiele verschleiert: sein aufopferungsvoller Kampf gegen den Antisemitismus, der Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Bauers sozialdemokratische Überzeugung, sein „Kampf für des Menschen Rechte“ im KZ, im Exil und danach – sie harren weiter einer filmischen Darstellung, die den außergewöhnlichen Mut und die Stärke dieses Menschen sichtbar werden lässt.
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Strafrechtsreform
Quellen- und Literaturhinweise
Fritz Bauer, Auf der Suche nach dem Recht. Stuttgart: Franckh’sche Verlagshandlung W. Keller und Co., 1966.
Fritz Bauer, Das Verbrechen und die Gesellschaft. München, Basel: K. Desch, 1957.
Fritz Bauer, „Das Strafrecht und das heutige Bild vom Menschen“, in: Leonhard Reinisch (Hrsg.), Die deutsche Strafrechtsreform. München: C. H. Beck, 1967, S. 11-23.
Fritz Bauer, „Die Reformbedürftigkeit der Strafrechtsreform (1966)“, in: Ders., Die Humanität der Rechtsordnung. Ausgewählte Schriften. Hrsg. von Joachim Perels und Irmtrud Wojak. Frankfurt am Main/New York: Campus: 1998, S. 279-296.
Fritz Bauer, „Die Schuld im Strafrecht (1962)“, in: Ders., Die Humanität der Rechtsordnung. Ausgewählte Schriften. Hrsg. von Joachim Perels und Irmtrud Wojak. Frankfurt am Main/New York: Campus: 1998, S. 249-278.
Fritz Bauer, Die Wurzeln faschistischen und nationalsozialistischen Handelns. Hrsg. vom Landesjugendring Rheinland-Pfalz. Mainz 1961; Neuausgabe Hamburg, CEP Europäische Verlagsanstalt, 2016, 122. S.
Fritz Bauer, „Gedanken zur Strafrechtsreform. Wie steht die SPD zum Entwurf der Großen Strafrechtskommission? (1959)“, in: Ders., Die Humanität der Rechtsordnung. Ausgewählte Schriften. Hrsg. von Joachim Perels und Irmtrud Wojak. Frankfurt am Main/New York: Campus: 1998, S. 233-247.
Fritz Bauer, „Selbstverwaltung und Gruppen-Therapie im Strafvollzug“. Schriften des Fliedner-Vereins Rockenberg, (1957), H. 15, S. 3-23 (Sonderdruck aus Recht der Jugend, 5. Jg. (1957), H. 17-19)
Fritz Bauer, „Sexualstrafrecht heute (1963)“, in: Ders., Die Humanität der Rechtsordnung. Ausgewählte Schriften. Hrsg. von Joachim Perels und Irmtrud Wojak. Frankfurt am Main/New York: Campus: 1998, S. 297-313.
Fritz Bauer, „Straffälligenhilfe nach der Entlassung (1957)“, in: Ders., Die Humanität der Rechtsordnung. Ausgewählte Schriften. Hrsg. von Joachim Perels und Irmtrud Wojak. Frankfurt am Main/New York: Campus: 1998, S. 315-339.
Günter Blau, „Fritz Bauer“, in: Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform, 51. Jg. (1968), H. 7/8, S. 363-365.
Diether H. Hoffmann, (Trauerrede), in: Hessisches Ministerium der Justiz (Hrsg.), Fritz Bauer. In Memoriam. Wiesbaden 1969 (Hrsg. v. Hessischen Minister der Justiz, Dr. Johannes E. Strelitz), S. 19-22.
Ernst Müller-Meiningen jr., „Wenn einer nicht im Dutzend mitläuft. Erinnerungen an den hessischen Generalstaatsanwalt Bauer, der am 16. Juli 65 Jahre alt geworden wäre“, in: Süddeutsche Zeitung, 16.7.1968.
Ilse Staff, „Überlegungen zum Staat als einer „Vereinigung einer Menge von Menschen unter Rechtsgesetzen“. In Memoriam Fritz Bauer“, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, 12 (1993), S. 1520-1529.
Werner Wendeberg, Darmstädter Gefängnisse. Architektur und Ideologie – Standort-Entscheidungen und Bauweise der Gefängnisse in Darmstadt als Spiegel der Einstellung zu Kriminalität und Strafvollzug. Darmstadt 2005 (Mskr.).
Weblinks
Webseite des Arbeitskreis Alternativentwurf mit einer Auflistung der Entwürfe und Literaturangaben zu Publikationen der Mitglieder des Arbeitskreises zu den Entwürfen.