Kunst- und Wissenschaftsfreiheit
Freiheit der Kunst und Wissenschaft
Fritz Bauer ging gern ins Theater, eine weitere Vorliebe galt der modernen Kunst, was sein Büro bei Frankfurter Generalstaatsanwaltschaft eindrucksvoll dokumentierte. 1965 löste er eine kurze, aber heftige Debatte aus, als er die Kasseler „documenta“-Ausstellung nach Frankfurtverlegen wollte. In Braunschweig hat sich seine Kunstliebe an dem von ihm initiierten Gebäude der Staatsanwaltschaft in Stein und Bronze niedergeschlagen. Die von Bauer angeregte Bronzeplastik „Justitia“ von Bodo Kampmann trägt seine Prägung: „Sie wägt zwei Menschen in den Waagschalen. Mensch gegen Mensch, als wollte sie sagen: ‚Jeder ist des Mitmenschen Gewicht, an dem er hinuntergezogen werden, an dem er sich aber auch wieder hinaufziehen kann. Immer bleibt jedoch der Mensch das Maß aller irdischen Dinge.‘“ (Generalstaatsanwalt Mützelburg)
Generalstaatsanwalt Norbert Wolf, ein Amtsnachfolger Bauers in Braunschweig, sagte dazu am 25. Juli 2014:
„Bauer hat sein Anliegen, die Leitgedanken unseres Rechtsstaats im öffentlichen Bewusstsein zu verankern, auch außerhalb des Gerichtssaals verfolgt. In einem Schriftwechsel, den er mit dem Oberstadtdirektor der Stadt Braunschweig im Jahr 1955 führte, heißt es: ‚Die öffentlichen Gebäude in Deutschland, auch in Braunschweig, wo in der Regel nur der Kriege und Siege gedacht wurde, ermangeln eines mahnenden Hinweises auf Sinn und Ziel unseres Schaffens und den Durchbruch der Idee des demokratischen und sozialen Rechtsstaates.‘ Er ließ Taten folgen: Am Eingang des Dienstgebäudes der Generalstaatsanwaltschaft ließ er in Stein meißeln: ‚Die Würde des Menschen ist unantastbar, sie zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.‘ Art. 1 des Grundgesetzes als Leitbild der Staatsanwaltschaft – das habe ich bisher in Deutschland nur an einem einzigen anderen Justizgebäude gefunden: dem der Staatsanwaltschaft in Frankfurt am Main. Dort war Fritz Bauer ab 1956 Generalstaatsanwalt.“ (nachlesen)
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
Artikel 5
„Der obszöne Figaro“
Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes bestimmt nämlich: Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.
Fritz Bauer liebte Mozart, was vielleicht auch ein Grund dafür war, dass er 1962 keine Mühe scheute, die Städtischen Bühnen Augsburg zu unterstützen, gegen deren Intendant, Regisseur und Bühnenbildner ein Verfahren wegen einer angeblich „obszönen“ Aufführung von „Figaros Hochzeit“ eingeleitet worden war. Die ganze Angelegenheit einschließlich der Gutachten von Generalstaatsanwalt Bauer und seinem Amtskollegen Dr. Ernst Buchholz wurde in der Publikation Der obszöne Figaro dokumentiert.
Bauers rechtliche Beurteilung der inkriminierten Figaro-Aufführung fiel kurz und bündig aus, zumal nachdem bekannt wurde, dass die „Zentralstelle zur Bekämpfung von Unzuchtsdelikten“ bei der Generalstaatsanwaltschaft in München sich des Falles angenommen und ausgerechnet Professor Hermann Kaspar zur Begutachtung in eine der Aufführungen entsandt hatte. Auch Dr. Buchholz monierte in seinem Gutachten, dass die Einstellungsverfügung der Augsburger Staatsanwaltschaft, die er ausdrücklich begrüßte, ein Gutachten einem Künstler anvertraut hatte, „von dem prominente Arbeitsproben in der im Zentralverlag der NSDAP erschienenen Zeitschrift ‚Kunst im Deutschen Reich‘ zu finden sind, wie die Einlegearbeit und Mosaiken, mit denen er des Führers Schreibtisch und Wände der neuen Reichskanzlei schmückte.“
Kaspar hatte zwei der für die Bühnendekoration eingesetzten Bilder als schockierend beanstandet, der zweite Sachverständige, Professor Jürgens, bejahte die Dekoration ohne Einschränkung.
Dem Chefdramaturgen der Städtischen Bühnen Augsburg schrieb Fritz Bauer, dass selbst Professor Kaspar das künstlerische Gesamtniveau der Dekorationen nicht bestritten habe, ebenso wenig, dass für alle verwendeten Bilder von Boucher usw. das „Prädikat Kunstwerk zu gebrauchen“ sei, und dass dieser Charakter auch in der fotografischen Bearbeitung erhalten blieb. Sein Fazit:
„Mit diesen Feststellungen bleibt rechtlich für eine Prüfung der Frage kein Raum mehr, ob die Inszenierung, insbesondere die fotografischen Wiedergaben der historischen Bilder, etwa gegen das Strafgesetzbuch oder das Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften oder Abbildungen verstoßen. Steht der Kunstcharakter fest, muß das Strafgesetzbuch oder das Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdenden Schrifttums zurücktreten. Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes bestimmt nämlich: Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.“
„Darf Kunst alles?“ Das Grundgesetz sagt ja
So lautete 1964 der Titel einer Diskussion des Kunstvorbehalts im Rheinischen Merkur, in der Fritz Bauer Stellung nahm. Anlass war, dass der Film DAS SCHWEIGEN von Ingmar Bergmann das Prädikat „besonders wertvoll“ erhalten hatte. Bauer machte in seinem Artikel deutlich, dass der Wortlaut des Grundgesetzes, was die Antwort auf die Frage betrifft, keinen Zweifel zulässt. Auch als 1967 der Ausschuss für Kulturpolitik, Wissenschaft und Publizistik im Bundestag den Entwurf eines Filmförderungsgesetzes beriet, der einen Paragraphen enthielt, dass Filme, die „das sittliche und religiöse Gefühl verletzen“, von der staatlichen Förderung ausgeschlossen werden sollten, gehörte Bauer zu den Unterzeichnern eines Appells der Humanistischen Union an die Ausschussmitglieder, keine mittelbare Zensur einzuführen.
„Der mittlere Zensureffekt prämienbewaffneter Prüfungskommissionen macht sich in der Bundesrepublik auf dem Gebiet des Kulturfilms bereits seit Jahren nachteilig bemerkbar“, hieß es in dem Appell. „Er würde um eine Vielfaches verstärkt durch ein mitten- und weltanschauungspolitisches Instrument, wie es die genannte Bestimmung des Filmförderungsgesetzes bietet.“ Aus diesem Grund baten die Unterzeichner des Appells die Ausschussmitglieder, ihren Einfluss geltend zu machen, dass die fragliche Stelle lediglich laute: „Zu fördern sind nur solche Filme, die nicht gegen die Verfassung und die Gesetze verstoßen.“ Damit sei bei Weiterbestehen der Freiwilligen Filmselbstkontrolle allen „legitimen kulturpolitischen Interessen Genüge getan.“ Der Aufruf blieb erfolglos, der Passus wurde ins Gesetz übernommen.