Nürnberg 1945 – Das Internationale Militärtribunal (IMT)
Vorgeschichte
Nachdem der britische Premierminister Winston S. Churchill bereits im Juni 1942 eine internationale Ermittlungsbehörde vorgeschlagen hatte, war es spätestens seit Januar 1943 – mit der Konferenz von Casablanca und dem Beschluss, die „bedingungslose Kapitulation“ Deutschlands zu fordern – erklärtes Kriegsziel der Alliierten, nach der Befreiung Europas die nationalsozialitischen Verbrechen vor Gericht zu bringen. Vereinbarungen darüber waren bereits zuvor mit den Exilregierungen der von der Wehrmacht besetzten Länder getroffen worden: Mit Polen, Norwegen, Holland, Luxemburg, Belgien, Frankreich, der Tschechoslowakei, mit Jugoslawien, Griechenland. Treibende Kraft bei der Vorbereitung der Prozesse war US-Präsident Franklin D. Roosevelt, der nach dem Scheitern des Völkerbunds als Anwalt einer neuen Weltfriedensordnung in die Geschichte eingegangen ist.
Die im August 1941 in der „Hoffnung auf eine bessere Zukunft der Welt“ von Roosevelt zusammen mit dem englischen Premier Churchill veröffentlichte Atlantik-Charta sollte die Grundlage für einen wirksamen Völkerbund schaffen, der allen Ländern dieser Erde Frieden und Freiheit, Gleichberechtigung und Sicherheit garantierte. Einzelne Punkte waren umstritten, doch die Atlantik-Charta bildet das Grundlagendokument für die Vereinten Nationen. Im September 1941 nahmen die Regierungen Belgiens, der Tschechoslowakei, Griechenlands, Luxemburgs, der Niederlande, Norwegens, Polens, der Sowjetunion und Jugoslawiens sowie Vertreter des Freien Frankreich die Erklärung an und erklärten, an der Verwirklichung mitarbeiten zu wollen.
Anders als „Der Prozess gegen den Kaiser“, das nach dem Ersten Weltkrieg nicht zustande gekommene erste internationale Tribunal gegen Kaiser Wilhelm I. auf der Grundlage des Versailler Vertrags, sollten die Verbrechen der Nationalsozialisten nach dem Zweiten Weltkrieg bestraft werden.
Im Oktober 1943 war die von 17 Nationen (ohne die Sowjetunion) in London eingesetzte United Nations War Crimes Commission (UNWCC) der erste Schritt hin zur Praxis der strafrechtlichen Verfolgung der Kriegsverbrechen und zur umfassenden Sammlung der Beweise.
Die Law Reports (Rechtsberichte) der Kommission sind über die Library of Congress der USA online abrufbar. Bis zur Beendigung ihrer Tätigkeit erfasste die UNWCC durch ihre Ermittlungen 36.810 Namen von Kriegsverbrecher*innen, darunter 34.270 Deutsche.
Parallel dazu verständigten sich die USA, Großbritannien und die Sowjetunion auf der Moskauer Außenministerkonferenz auf ein Statement of Atrocities, welches die gerichtliche Bestrafung „für Gräueltaten, Massaker und kaltblütige Massenexekutionen“ den drei Unterzeichnerstaaten überantwortete. Die Moskauer Erklärung vom 30. Oktober 1943 legte fest, dass die NS-Täter an die Staaten ausgeliefert werden sollten, wo sie ihre Verbrechen begingen.
Am 26. Juni 1945 traten die vier alliierten Mächte USA, Großbritannien, Frankreich und Sowjetunion in London zusammen, um das Prozedere für die „Verfolgung und Bestrafung der Hauptkriegsverbrecher der europäischen Achse“ auszuhandeln. Und am gleichen Tag unterzeichneten die Vertreter von 51 Staaten in San Francisco die UN-Charta (deutsche Fassung), das Gründungsstatut für die Vereinten Nationen, die neue Organisation zur Aufrechterhaltung des Weltfriedens sowie zur internationalen Zusammenarbeit auf allen Lebensgebieten.
„Material, das die Welt vorher noch nie gesehen hatte“
(Fritz Bauer)
Mit dem Londoner Statut vom 8. August 1945 einigten sich die vier Siegermächte USA, Großbritannien, Sowjetunion und Frankreich auf die Verfassung des Internationalen Militärgerichtshofes. Für die Prozesse gegen die „Hauptkriegsverbrecher“ vor dem IMT in Nürnberg legten sie vier Anklagepunkte fest. Der Nürnberger Prozess begann am 20. November 1945 und endete am 1. Oktober 1945, es war der erste Prozess gegen „die größtem Kriegesverbrecher der europäischen Achsenmächte“.
Die Hauptankläger Robert H. Jackson (USA), Sir Hartley Shawcross (Großbritannien), François de Menthon (Frankreich) und General R. A. Rudenko (UdSSR) begannen am 18. Oktober 1945 mit ihren Plädoyers zu den vier Anklagepunkten.
4 Anklagepunkte
Diese vier Hauptvorwürfe
richteten sich gegen:
24 Verantwortliche (anwesend vor Gericht waren 21),
6 Organisationen, vom Führercorps der NSDAP
über SA und SS bis zur Gestapo
sowie dem Generalstab.
Urteil
Das Verfahren umfasste:
Zum Tode durch den
Strang wurden verurteilt:
Hermann Göring
Joachim von Ribbentrop
Wilhelm Keitel (Oberkommando der Wehrmacht)
Ernst Kaltenbrunner (Chef des Reichssicherheitshauptamtes)
Alfred Rosenberg (Reichsleiter für die weltanschauliche Schulung)
Hans Frank (Generalgouverneur im besetzten Polen)
Dr. Wilhelm Frick
Julius Streicher (Herausgeber des antisemitischen Wochenblatts Der Stürmer)
Fritz Sauckel (Bevollmächtigter für den Arbeitseinsatz, insbesondere der ausländischen Zwangsarbeiter)
Alfred Jodl (Chef des Wehrmachtsführungsstabes)
Arthur Seyß-Inquart (Reichskommissar in den besetzten Niederlanden)
Martin Bormann (Hitlers Stabschef) in absentia
Zu mehrjährigen Freiheitsstrafen wurden verurteilt:
Großadmiral Karl Dönitz, zuletzt Oberbefehlshaber der Marine und Nachfolger Hitlers (10 Jahre)
Reichsjugendführer Baldur von Schirach, Gauleiter von Wien (20 Jahre)
Reichsminister Albert Speer, Generalbevollmächtigter für Bewaffnung und Rüstung (20 Jahre)
Reichsaußenminister a. D. Konstantin von Neurath (15 Jahre)
Freigesprochen wurden:
Hjalmar Schacht (Präsident der Reichsbank)
Franz von Papen (Vizekanzler in Hitlers Regierung)
Hans Fritzsche (unter Goebbels Chef des Rundfunks und der Presse)
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Glossar
Quellen:
Law Reports of Trials of War Criminals. Selected and prepared by the United Nations War Crimes Commission 1947–1949, Library of Congress.
Taube Archive of the International Military Tribunal (IMT) at Nuremberg (1945-1946). Stanford Libraries (Komplette Dokumente des IMT auf 250.000 Seiten). Source: The Registry, International Court of Justice. (2018). Nuremberg Trial Archives, The International Court of Justice: Custodian of the archives of the International Military Tribunal at Nuremberg (2nd ed.). Available online.
Literatur:
Norbert Frei (Hrsg.), Transnationale Vergangenheitspolitik. Der Umgang mit deutschen Kriegsverbrechern in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg. Göttingen: Wallstein, 2006 (Beiträge zur Geschichte des 20. Jahrhunderts).
Von Nürnberg nach Den Haag. Menschenrechtsverbrechen vor Gericht. Zur Aktualität des Nürnberger Prozesses. Hrsg. vom Nürnberger Menschenrechtszentrum. Hamburg: EVA, 1996.