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Widerstandsrecht
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Remer Prozess

Rehabilitierung des Rechts auf Widerstand

Robert Mulka Bild von Fritz Bauer
Widerstandsrecht meint nicht Revolution, sondern Realisierung eines bereits gültigen, aber nicht verwirklichten Rechts.
Fritz Bauer

Vorgeschichte

Im April 1949 wurde Dr. Fritz Bauer zum LandgerichtsdirektorWas bedeutet das? in Braunschweig berufen und am 1. August 1950 von der niedersächsischen Regierung zum Generalstaatsanwalt ernannt. Jetzt war er in der Position, den Neuanfang mitzugestalten: Als Ankläger in dem StrafverfahrenWas bedeutet das? gegen Otto Ernst Remer, dem „bedeutendste(n) Prozess mit politischem Hintergrund seit den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen und vor dem Frankfurter Auschwitz-Prozess“ (Rudolf WassermannWas bedeutet das?).

Der Generalstaatsanwalt ging damit gegen Otto Ernst Remer vor, der laut AnklageschriftWas bedeutet das? „in Braunschweig am 3. Mai 1951 in Beziehung auf (…) Bundesminister des Inneren Dr. Robert LehrWas bedeutet das? (…) eine nicht erweislich wahre, ehrenrührige Tatsache behauptet“ hat, um ihn dadurch „verächtlich zu machen und des Vertrauens unwürdig erscheinen zu lassen, dessen er für sein öffentliches Wirken bedarf“.

Remer habe als Redner der von ihm mitbegründeten Sozialistischen Reichspartei (SRP) in einer öffentlichen Wahlversammlung zum 20. Juli 1944 erklärt: „Es wird die Zeit kommen, in der man schamhaft verschweigt, dass man zum 20. Juli gehört hat. Wenn man schon bereit ist, HochverratWas bedeutet das? zu begehen, dann bleibt die Frage offen, ob nicht in sehr vielen Fällen dieser Hochverrat gleich LandesverratWas bedeutet das? ist. Diese Verschwörer sind zum Teil in starkem Maße Landesverräter gewesen, die vom Auslande bezahlt wurden“.

Robert Mulka Bild von Fritz Bauer
Ein Unrechtsstaat, der täglich zehntausende Morde begeht, ist überhaupt nicht hochverratsfähig.
Fritz Bauer

Otto Ernst Remer (1912-1997)

Remer, der 1944 dazu beigetragen hatte, dass der Revolutionsversuch des 20. Juli scheiterte, reiste damals als Vorsitzender der neonazistischen Sozialistischen Reichspartei (SRP) durch die Lande, um Anhänger zu gewinnen. Remer war 1944 Kommandeur des Berliner Wachbataillons „Großdeutschland“, das auf den „Walküre“-Befehl der Verschwörer zwar das Regierungsviertel ordnungsgemäß besetzte, aber bald Bedenken bekam. Er selbst marschierte zum Berliner GauleiterWas bedeutet das?, dem PropagandaministerWas bedeutet das? Dr. Goebbels, den er eigentlich festnehmen sollte, um genaueren Aufschluss über die Vorgänge zu bekommen.

Goebbels vermittelte Remer ein Telefongespräch mit Hitler, aus dem eindeutig hervorging, dass Hitler das Attentat des Claus Schenk Graf von Stauffenberg überlebt hatte. Hitler gab Remer – den er telefonisch zum Oberst beförderte – den Befehl, den Aufstand niederzuschlagen. Remer hatte demnach doppelten Verrat begangen, zunächst hatte er abgewartet, wie das Attentat ausging, dann war er umgeschwenkt und zu Beginn der 1950er Jahre reiste er wiederum durch die Lande, und diffamierte die Attentäter als Hoch- und Landesverräter.

Als Remer am 20. Juli 1944 in der Berliner Bendlerstraße aufmarschierte, wo das Oberkommando des Ersatzheeres seinen Sitz hatte und von wo aus Stauffenberg mit den Mitverschwörern das NS-Regime beseitigen wollte, war das Unternehmen „Walküre“ bereits gescheitert. Die Aufständischen waren bereits von dem umgeschwenkten Generalobersten Fromm verhaftet worden. Die Tatsache, dass die von Stauffenberg gelegte Bombe im Führerhauptquartier Hitler verfehlt hatte, vernichtete die Grundvoraussetzung für das Gelingen des geplanten Umsturzes.

©picture-alliance/ dpa

Anklage 17. November 1951

1949, nach Gründung der BRD, sowie in den folgenden Jahren ging kein deutsches Gericht gegen Otto Ernst Remers Schmähungen des 20. Juli 1944 vor. Hätte nicht Bundesinnenminister Lehr Strafantrag gegen den ehemaligen Major gestellt, hätte Remer wahrscheinlich noch lange seine Nazi-Sprüche verbreiten können.

Der am Braunschweiger Landgericht tätige OberstaatsanwaltWas bedeutet das? Dr. Erich Günther TopfWas bedeutet das? fand nichts Falsches an Remers Äußerungen, was schließlich dazu führte, dass GeneralstaatsanwaltWas bedeutet das? Dr. Bauer den Fall an sich zog. Er setzte durch, dass Remer nach §186 Strafgesetzbuch (StGB) wegen übler Nachrede unter Anklage gestellt wurde. Mit einer Anklage Remers aufgrund dieses Paragrafen forderte Bauer den „Wahrheitsbeweis“ heraus.

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Die Prozessgutachter

Eine zentrale Rolle im Prozess spielte die Frage des Soldateneids: Des Rechts zum Tyrannensturz im Falle der Notwehr, notfalls durch Tötung. Fritz Bauer, der den Umsturzversuch des 20. Juli 1944 als Versuch zur Wiederherstellung der Rechtsordnung betrachtete, lud Sachverständige ein, aus katholischer, protestantischer und historischer Sicht zu den damit verbundenen Fragen Stellung zu nehmen. Darunter waren:

Prof. Percy Ernst Schramm Historiker, schrieb von 1943-1945 das Kriegstagebuch des Wehrmachtsführungsstabes
Prof. Hans Rothfels Verfasste das Buch "Die deutsche Opposition gegen Hitler" und teilte mit, dass er nicht bestreiten könne, dass „die Männer des 20. Juli Hochverräter waren und einige von ihnen (Männer aus dem Kreis der ‚Abwehr‘, die militärisch Nachrichten an den Feind weitergaben) auch Landesverräter“ (Niedersächsisches Staatsarchiv in Wolfenbüttel, 61 Nds Zg. 41/1968 Bd. 24/1, Bl. 142)
Hans-Günther Seraphim Historiker, Bibliothekar, Referent für Zeitgeschichte des Instituts für Völkerrecht
Prof. Rupert Angermair katholischer Moraltheologe
Prof. Hans Joachim Iwand, Prof. Ernst Wolf evangelische Theologen, sollten zu Fragen der Grenzen des Eids aus biblisch-theologischer Sicht Stellung nehmen
a. D. Helmut Friebe Generalleutnant

Generalstaatsanwalt Bauers Antwort

an Professor Hans Rothfels

Robert Mulka Bild von Fritz Bauer
„Sie sind nicht als juristischer Sachverständiger für die Frage vorgeladen, ob der Widerstand Hoch- oder Landesverrat war. Zur Entscheidung dieser Frage hält sich die Staatsanwaltschaft selbst hinreichend kompetent. Aus der Tatsache der Anklage können Sie zudem entnehmen, dass die Staatsanwaltschaft die Frage verneint. (..) Sie, Herr Professor, sollen als Sachverständiger für Zeitgeschichte geladen werden. Ihre Aufgabe wäre, wie es in Ihrem Buch geschehen ist, aufgrund Ihrer Quellenkenntnisse die Geschichte des 20. Juli wiederzugeben. Hierbei wird es vor allem auf die Zielsetzung und Motive der Widerstandskämpfer, aber auch auf die Beteiligung Remers ankommen. Etwas anderes als eine Wiedergabe dessen, was war, wird also nicht von Ihnen verlangt; keinesfalls sollen Sie dem Historiker fremde Werturteile abgeben oder juristische Entscheidungen fällen. (…)“ (Rothfels blieb in seiner Antwort vom 23.12.1951 bei seiner Ablehnung der Vorladung.)
Fritz Bauer, Braunschweig, 18. Dez. 1951 aus: Niedersächsisches Staatsarchiv in Wolfenbüttel, 61 Nds Zg. 41/1968 Bd. 24/1, Bl. 143.

Auszüge aus Briefen der Gutachter

an Generalstaatsanwalt Dr. Fritz Bauer

(…) wir glauben, dass die Tat des 20. Juli im biblisch-theologischen Sinne unter keinen Umständen die von Herrn Remer vorgetragene Wertung eines Hoch- und Landesverrats verdient und dass wir auch von dem lutherischen Standpunkt aus nachweisen können, dass die Männer des 20. Juli der Sache nach getreu ihrem Eide gehandelt haben.
Hans Joachim Iwand, Göttingen, 6.12.1951, aus: Niedersächsisches Staatsarchiv in Wolfenbüttel, 61 Nds Zg. 41/1968 Bd. 24/1, Bl. 107
Vielleicht aber gewinnt in Ihrem Prozess auch die Stellungnahme der Moraltheologie zu dem Problem Bedeutung, wie sich der einzelne einem Krieg gegenüber benehmen dürfe oder müsse, den er von Anfang an mit mehr oder weniger Sicherheit für einen gerechten, zweifelhaft gerechten oder sicher ungerechten Krieg hält. Wenn einer sich z. B. 1939 in seinem Gewissen das sichere Urteil fällte, der Hitlerkrieg sei nur zweifelhaft oder unmöglich gerecht, so durfte, ja musste seine Resistenz nicht nur so weit gehen, als der Eid es erlaubte, sondern noch viel weiter. Wir Christen und mit uns alle, die sich noch an das Naturgesetz halten, sind uns heute bewusst, dass wir Hitler in einem viel früheren Augenblick widerstehen hätten müssen. Die Furcht vor den eigenen Nachteilen bildet für alle nur einen Milderungsgrund, nicht aber eine absolute Entschuldigung.
Prof. Dr. Rupert Angermair, Freising b/ München, 26. XI. 51, aus: Niedersächsisches Staatsarchiv in Wolfenbüttel, 61 Nds Zg. 41/1968 Bd. 24/1, Bl. 109f.

Fritz Bauers Plädoyer: „Ein Unrechtsstaat“

Am 4. Februar 1952 erging der EröffnungsbeschlussWas bedeutet das? für das Hauptverfahren vor dem Landgericht in Braunschweig, am 7. März 1952 begann der Prozess. Zitate aus dem Plädoyer des Anklägers GeneralstaatsanwaltWas bedeutet das? Dr. Bauer belegen, worum es ihm in dem Prozess ging:

© Privatarchiv Ausmeier
Robert Mulka Bild von Fritz Bauer
Es ist Aufgabe der Staatsanwaltschaft, Aufgabe der Richter des demokratischen Rechtsstaates, die Helden des 20. Juli ohne Vorbehalt und ohne Einschränkung zu rehabilitieren.
Fritz Bauer, 1952
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An den Vorsitzenden Richter
Was die Widerstandskämpfer vollbracht haben, war das einzige Aktivum, das wir ins Feld führen konnten, als die Kollektivschuld uns ins Gesicht geschleudert wurde.
Fritz Bauer, 1952
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Ich bitte Sie, lassen Sie Ihr warmes Herz für die Kämpfer für Freiheit und für Deutschland nicht erkalten durch ihre furchtbaren Erinnerungen an die sibirischen Weiten.
Fritz Bauer, 1952, aus: Niedersächsisches Staatsarchiv in Wolfenbüttel, 61 Nds Zg. 41/1968 Bd. 24/1, Bl. 24/7

Eine solche volle Anerkennung der Tat des 20. Juli war damals noch selten. Laut Meinungsumfragen war ein Großteil der Bundesbürger skeptisch bis feindselig gegenüber den Verschwörern eingestellt. Fritz Bauer war der erste Anwalt des 20. Juli 1944. Sein Plädoyer ist mit Friedrich Schillers „Eine Grenze hat Tyrannenmacht“ überschrieben. Darin heißt es:

„Ich glaube, es gibt niemandem in diesem Saal, der den Mut hätte zu sagen, einer der Widerstandskämpfer hätte nicht mit der heiligen Absicht gehandelt, seinem deutschen Vaterlande zu dienen (…). Am 20. Juli war der Krieg endgültig verloren. Am 20. Juli war das deutsche Volk total verraten, verraten von seiner Regierung, und ein total verratenes Volk kann nicht mehr Gegenstand eines Landesverrats sein. Genauso wenig, wie man einen toten Mann durch einen Dolchstoß töten kann. (…) War nicht jeder in Deutschland, der die Ungerechtigkeit des Krieges erkannte, berechtigt, Widerstand zu leisten und einen Unrechtskrieg zu verhüten? In diesem Fall gilt nämlich, was Hugo GrotiusWas bedeutet das?, der Vater unseres Völkerrechts geschrieben hat:

‚Wenn das Motiv des Krieges ungerecht ist, so sind auch alle Handlungen, die daraus folgen, ungerecht, und alle, die mit Wissen und Willen an solchen Handlungen teilnehmen, gehören zur Schar derer, die nicht ohne Buße und Besserung ins Himmelreich eingehen.’ (…)
Ich gehe zum zweiten Punkt über und erkläre, der nationalsozialistische Staat war seinem Inhalt nach ein Unrechtsstaat. (…) Ein Unrechtsstaat, der täglich Zehntausende Morde begeht, berechtigt jedermann zur Notwehr gemäß § 53 StGB. Jedermann war berechtigt, den bedrohten Juden oder den bedrohten Intelligenzschichten des Auslandes Nothilfe zu gewähren. (…)

Das Schönste über das Widerstandsrecht von Volk und Mensch hat Schiller im Tell gesagt:

Frierich Schiller Zeichnung Remer Prozess
‚Nein, eine Grenze hat Tyrannenmacht. Wenn der Gedrückte nirgends Recht kann finden, Wenn unerträglich wird die Last, greift er Hinauf getrosten Mutes in den Himmel Und holt herunter seine ew’gen Rechte…’“
Friedrich Schiller, "Wilhelm Tell"

Fritz Bauer proklamierte ein allgemeines Widerstandsrecht, ja sogar die Pflicht zum Widerstand. Er beschränkte das Widerstandsrecht nicht nur – wie später der Präsident des Bundesgerichtshofs Hermann Weinkauff – auf diejenigen, welche Aussicht auf Gelingen beanspruchen können. Bauer forderte „Das „Widerstandsrecht des kleinen Mannes“:

Robert Mulka Bild von Fritz Bauer
Passiver Widerstand gegenüber verbrecherischen Gesetzen, Befehlen, Handlungen eines Staates ist Recht und Pflicht eines jeden. Zu aktivem Widerstand gegenüber Verbrechen ist niemand verpflichtet, wohl aber berechtigt, wobei die Grundsätze jeden Notwehrrechts gelten, dass die Verteidigung dem jeweiligen Angriff angemessen sein muss. Die Frage der Angemessenheit spielt aber in der Auseinandersetzung mit den Verbrechen des ‚Dritten Reiches’ keine Rolle: ‚Der alte Urstand der Natur kehrt wieder. Zum letzten Mittel, wenn kein anderes mehr verfangen will, ist ihm das Schwert gegeben. Durch Notwehr und Nothilfe zugunsten der bedrohten Juden, Zigeuner, Polen usw. war jeder legitimiert, Hitler, Himmler, Heydrich, Kaltenbrunner, Müller, Eichmann und die in der Hierarchie niederen Werkzeuge z. B. der ‚Endlösung der Judenfrage’ zu töten.
Fritz Bauer

Resonanz auf Fritz Bauers Plädoyer

Noch nie habe ich den Nachweis der Illegalität des Hitlerregimes in so konzentrierter und überzeugender Form auf juristischer Basis führen sehen.“
Prof. Dr. Karl Friedrich Bonhoeffer, Göttingen, 11.3.1952, aus: Niedersächsisches Staatsarchiv in Wolfenbüttel, 61 Nds Zg. 41/1968 Bd. 24/3, Bl. 477
Ihre Worte haben mir wieder das Vertrauen gegeben, dass in Deutschland doch eine Demokratie sich entwickeln kann und dass es noch Recht gibt. Diese Überzeugung war in den letzten Jahren stark ins Wanken geraten. Da Sie sicher eine Flut von negativen Äußerungen zu hören bekommen, möchte ich Sie gerne auch meine voll anerkennende Meinung hören lassen. Fritz Bauer, 13.3.1952 Sehr geehrter Herr Höhne, Sie haben recht, es fehlt nicht an negativen Äußerungen. (…)“.
Werner Höhne, Braunschweig, 11.3.1952, aus: Niedersächsisches Staatsarchiv in Wolfenbüttel, 61 Nds Zg. 41/1968 Bd. 24/3, Bl. 479
Erlauben Sie uns, (…) auszusprechen, dass Männer Ihrer Gesinnung in Zukunft die staatsbürgerlichen Rechte in Deutschland schützen mögen. Seien Sie versichert, dass wir moralisch und politisch stets die Grundsätze vertreten werden, die Sie am 10. März in Braunschweig dargelegt haben.“
SPD Ortsverein Hannover, Arbeitsgemeinschaft verfolgter Sozialdemokraten, 14.3.1952, aus: Niedersächsisches Staatsarchiv in Wolfenbüttel, 61 Nds Zg. 41/1968 Bd. 24/3, Bl. 555
Nach einem Artikel in Nr. 59 der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung vom 11. d. M. soll Herr Generalstaatsanwalt Bauer im Prozess gegen Remer neben anderen Sachen (…) den Ausdruck gebraucht haben: Der Soldateneid auf Hitler sei unsittlich gewesen. Mein einziger Sohn ist (…) im Oktober 1944 als Leutnant der Reserve und Kompanieführer in einem Infanterieregiment gefallen. Zweifellos hat auch er den ‚Soldateneid auf Hitler‘ ablegen müssen. Sollten (…) die Äußerungen des Herrn Generalstaatsanwalts zutreffend wiedergegeben sein, so würde ich mich naturgemäß durch dieselben beschwert fühlen, denn nach meinem laienhaften Verständnis würden sie meinem gefallenen Sohn eine unsittliche Handlung insinuieren.
Dr. Walter Velten, Bochum, 11. März 1952
Robert Mulka Bild von Fritz Bauer
(…) ich habe in meinem Plädoyer (…) ausgeführt, dass es dem Sittengesetz und u. a. dem Deutschen Militärstrafgesetzbuch widersprochen habe, von den deutschen Soldaten einen Eid zu verlangen, der sie zu unbedingtem Gehorsam nicht gegenüber Gott, Gesetz und Recht, sondern zu unbedingtem Gehorsam gegenüber einem Menschen, nämlich Hitler, verpflichtete. (…) Um Ihnen, der Sie Ihren Sohn im Kriege verloren haben, zu zeigen, in welche Konflikte Hitler und sein Soldateneid junge Menschen gebracht hat, darf ich vielleicht den Brief eines einfachen Bauern an seine Eltern zitieren, die im Sudetenland einen großen Hof besaßen, den er einst erben sollte. Er trägt das Datum des 3.2.1944: ‚Liebe Eltern! Ich muss Euch eine traurige Nachricht mitteilen, dass ich zum Tode verurteilt wurde, ich und Gustav G. Wir haben es nicht unterschrieben zur SS, da haben sie uns zum Tode verurteilt. Ihr habt nun doch geschrieben, ich solle nicht zur SS gehen, mein Kamerad Gustav G. hat es auch nicht unterschrieben. Wir beiden wollten lieber sterben, als unser Gewissen mit so Gräueltaten zu beflecken. Ich weiß, was die SS ausführen muss. Ach, liebe Eltern, so schwer es für mich und Euch ist, verzeiht mir alles, wenn ich Euch beleidigt habe, bitte, verzeiht mir und betet für mich. Wenn ich im Kriege fallen würde und hätte ein böses Gewissen, das wäre auch traurig für Euch. Es werden noch viele Eltern ihre Kinder verlieren. Es fallen SS-Männer auch viel. Ich danke Euch für alles, was Ihr mir seit meiner Kindheit Gutes getan habt, verzeiht mir, betet für mich.‘ gez. Dr. Bauer“ 
Fritz Bauer, 19.3.1952, aus: Niedersächsisches Staatsarchiv in Wolfenbüttel, 61 Nds Zg. 41/1968 Bd. 24/3, Bl. 560
Zeitungsartikel

Schlusswort

In seinem Schlusswort erklärte Otto Ernst Remer, dass er kein einziges Wort zurücknehme. Sein Prozess vor der 3. Strafkammer des Braunschweiger Landgerichts am 7., 8., 10. und 11. März 1952 unter dem Vorsitz von LandgerichtsdirektorWas bedeutet das? Joachim HeppeWas bedeutet das? endete mit einem SchuldWas bedeutet das?spruch.

Hannoversche Presse Nr. 66, 19. März 1952, S. 1

Das Braunschweiger Landgericht verurteilte Remer am 15. März 1952 wegen übler Nachrede in Tateinheit mit der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener zu einer Gefängnisstrafe von drei Monaten. Der Verurteilte entzog sich dem StrafvollzugWas bedeutet das? durch Flucht ins Ausland.

Hannoversche Allgemeine Zeitung Nr. 64, 17. März 1952

Urteil 15. März 1952

3 Monate Gefängnisstrafe.

Der Verurteilte entzog sich dem StrafvollzugWas bedeutet das? durch Flucht ins Ausland.

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Historischer Kontext –

Wiederbewaffnung der BRD

Die Bundesregierung unter Bundeskanzler Konrad AdenauerWas bedeutet das? brachte es nicht zustande, das Gedächtnis des 20. Juli 1944 in der Gesellschaft zu verankern. Grund dafür war, dass der Bundeskanzler spätestens seit Herbst 1951 die Wiederaufrüstung und Wiederbewaffnung betrieb. Der verschämt „Wehrbeitrag“ genannte Vorgang, den die Westalliierten im Zuge des Kalten Krieges bereits 1949 zu fordern begannen, wurde vom sogenannten „Amt BlankWas bedeutet das?“ betrieben und 1952 von der Mehrheit des Bundestages beschlossen. Ungeachtet heftiger Gegenwehr der Opposition, die – fast gleichzeitig mit dem Remer-Prozess – das Bundesverfassungsgericht in Anspruch nehmen wollte und von diesem verlangte, es möge die Aufstellung einer BundeswehrWas bedeutet das? als verfassungswidrig verurteilen.

Bonn wollte sich nicht auf den Schuldspruch gegen Remer und auf Fritz Bauers Würdigung des 20. Juli festlegen lassen. Dabei wusste man über die rechtsextremen Umtriebe genau Bescheid. Schließlich wurde die Remer-Partei bald darauf als verfassungswidrig verboten. Ein Remer-Prozess passte jedoch nicht in Adenauers Konzept. Im Kabinett legte man Innenminister Robert Lehr nahe, auf die Klage gegen den rechtsextremen Major zu verzichten. Da Lehr nicht entsprechend reagierte, war sein Kabinett-Schicksal besiegelt.

Als Adenauer im Jahr darauf erneut zum Kanzler gewählt wurde, war von Robert Lehr bei der Regierungsbildung nicht mehr die Rede, Bundesinnenminister wurde Gerhard SchröderWas bedeutet das?. So wie Lehr 1950 Gustav HeinemannWas bedeutet das? ersetzt hatte, als dieser Adenauer – Anstoß war schon damals Adenauers spürbare Tendenz, die Wiederbewaffnung zu betreiben – zu widersprechen wagte.

Beides gleichzeitig war eben nicht gut möglich. Wenn man die Remilitarisierung in Angriff nahm, musste man mit den alten Soldaten rechnen. Mit jenen Offizieren, die in der Wehrmacht gekämpft hatten. Unter den Ersten, die das „Amt BlankWas bedeutet das?“ bald darauf neuerdings zu den Waffen rief, waren die Generäle Heusinger und Speidel – der Erstgenannte ein Berufssoldat, der das Attentat des 20. Juli 1944 im Führerhauptquartier Wolfsschanze überlebt hatte.

Fritz Bauer war sich der veränderten Einstellung zur deutschen Militarisierung bewusst. In diesem Moment ein StrafverfahrenWas bedeutet das? gegen den damaligen Major Remer und die Beteiligten des Umsturzversuches als Vorbilder des Widerstands anzuerkennen? Ein Prozess, der zugleich diejenigen, die solchen Widerstand nicht geleistet hatten, zu Mitläufer*innen, Nazi-Soldat*innen und also Versager*innen stempeln musste?

Nachdem der Bundestag die Wiederbewaffnung beschlossen hatte, als Westdeutschland durch seine bereitwillige Beteiligung am Kalten Krieg, durch Einordnung in das westliche „Verteidigungsbündnis“ NATOWas bedeutet das?, wiederum die angestrebte Souveränität zurückgewonnen hatte (Adenauers historisches Verdienst!), konnte der Kanzler ohne weiteres umschalten und seine – wohl auch ursprüngliche – Sympathie für Stauffenberg, Tresckow, Boeselager, Stieff, Oster, MoltkeWas bedeutet das?, Trott zu SolzWas bedeutet das?, Stülpnagel, Witzleben, Beck, Olbricht und… bekunden und öffentlich bekennen: „Wer aus Liebe zum deutschen Volk es unternahm, die Tyrannei zu brechen, wie das die Opfer des 20. Juli getan haben, ist der Hochschätzung und Verehrung aller würdig“ (6. August 1954).

„Wer ist ein Verräter? Ein Nachwort zum Remer-Prozess“

In der Stuttgarter Zeitung schrieb der Jurist und Freund Fritz Bauers, Richard SchmidWas bedeutet das?, am 26. März 1952 über das Urteil im Remer-Prozess:

„Allein das, was den Juden angetan worden ist, nimmt allen, den heutigen und den damaligen Handlangern des Nationalsozialismus das Recht, einem aktiven Gegner Verrat vorzuwerfen. An denen, die die höchsten menschlichen Werte verraten, gibt es keinen Verrat.“ 

© Privatbesitz

In der Wochenzeitung DIE ZEIT schrieb Josef Müller-MareinWas bedeutet das? unter dem Pseudonym „Jan Molitor“ über das Urteil und die überlebenden Widerstandskämpfer in der SPD meldeten sich in einem Brief an Fritz Bauer zu Wort.

Brief der SPD an GStA Bauer 14. März 1952 ©SPD

Revision und Gegenerklärung von Fritz Bauer

Der BundesgerichtshofWas bedeutet das? (BGH) in Karlsruhe verwarf am 11. Dezember 1952 die RevisionWas bedeutet das? Remers gegen das Urteil, das damit rechtskräftig wurde. Fritz Bauer hatte zuvor eine Gegenerklärung eingereicht, in der er zu völkerrechtlichen Fragen und zum angeblichen LandesverratWas bedeutet das? Stellung bezog. Er erklärte, Deutschland sei kein Schaden aufgrund des Misslingens des Attentats entstanden. Es habe als das „Fanal des anderen Deutschlands bewiesen, dass das deutsche Volk in seiner Gesamtheit und der Nationalsozialismus nicht das gleiche gewesen sei.“

Hinsichtlich der Behauptung, dass ein Teil der Widerstandskämpfer militärische Geheimnisse an das Ausland verraten habe – Generalmajor Hans Paul Oster und Hans Bernd GiseviusWas bedeutet das? – erklärte Fritz Bauer:

Robert Mulka Bild von Fritz Bauer
(…) um den Unrechtsstaat wieder durch einen Rechtsstaat zu ersetzen, beispielsweise um die Hinmordung Hundertausender Menschen zu beenden. … War die Mitteilung von dem bevorstehenden Angriff durch General Oster u. a. deswegen erfolgt, um die unvorstellbar grausame Verfolgung und Ausrottung der Juden in Dänemark, Norwegen und Holland zu verhüten, so war sie durch Nothilfe gemäß § 53 StGB gedeckt.  Der Krieg gegen Dänemark, Norwegen und Holland, denen Oster nach der Widerstandsliteratur Kenntnis von dem bevorstehenden Angriff gegeben hat, war ein durch den Briand-Kolleg Pakt verbotener Angriffskrieg und daher ein internationales Verbrechen. Nach Artikel 4 der Weimarer Verfassung war das allgemein anerkannte Völkerrecht dem deutschen Recht inkorporiert. Zu dem allgemein anerkannten Völkerrecht gehört zweifellos der Briand-Kolleg Pakt, der von allen Nationen der Welt, auch dem deutschen Reich, ratifiziert war. Gemäß Artikel 4 der Weimarer Verfassung wurden auch unmittelbar völkerrechtliche Rechte und Pflichten der Einzelnen geschaffen (…). Der einzelne Deutsche, der von dem Vorhaben einer Invasion Kenntnis erhielt, war daher unmittelbar berechtigt und verpflichtet, den bedrohten Ländern, hier Dänemark, Norwegen und Holland, Anzeige zu machen, (…). Mag auch die Nichtanzeige des Verbrechens keine völkerstrafrechtlich zu ahndende Handlung sein (…) so ist die Anzeige doch Ausfluss einer völkerrechtlichen Pflicht, die den nationalen Pflichten vorgeht. Allgemeines Völkerrecht bricht jedes innerstaatliche Recht (Art. 4 der Weimarer Verfassung und Art. 25 Grundgesetz).“ 
Fritz Bauer, Niedersächsisches Staatsarchiv in Wolfenbüttel, 61 Nds Zg. 41/1968 Bd. 24/5, Bl. 871ff.
Robert Mulka Bild von Fritz Bauer
Zum Urteil des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe erklärte Bauer
  Der Bundesgerichtshof hat sich so gut wie ausschließlich mit den prozessualen Rügen der Verteidigung beschäftigt; zu den uns interessierenden Fragen hat der Senat bedauerlicherweise kaum Stellung genommen.“
Fritz Bauer, 14. Februar 1953, aus: Niedersächsisches Staatsarchiv in Wolfenbüttel, 61 Nds Zg. 41/1968 Bd. 24/5, Bl.1018

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Quellen- und Literaturhinweise:
Quellen:

Niedersächsisches Staatsarchiv in Wolfenbüttel, 61 Nds Zg. 41/1968 Bd. 24/1, Bl. 143.

Niedersächsisches Staatsarchiv in Wolfenbüttel, 61 Nds Zg. 41/1968 Bd. 24/1, Bl. 109f.

Niedersächsisches Staatsarchiv in Wolfenbüttel, 61 Nds Zg. 41/1968 Bd. 24/1, Bl. 24/7

Niedersächsisches Staatsarchiv in Wolfenbüttel, 61 Nds Zg. 41/1968 Bd. 24/1, Bl. 107

Niedersächsisches Staatsarchiv in Wolfenbüttel, 61 Nds Zg. 41/1968 Bd. 24/3, Bl. 477

Niedersächsisches Staatsarchiv in Wolfenbüttel, 61 Nds Zg. 41/1968 Bd. 24/3, Bl. 479

Niedersächsisches Staatsarchiv in Wolfenbüttel, 61 Nds Zg. 41/1968 Bd. 24/3, Bl. 555

Niedersächsisches Staatsarchiv in Wolfenbüttel, 61 Nds Zg. 41/1968 Bd. 24/3, Bl. 560

Niedersächsisches Staatsarchiv in Wolfenbüttel, 61 Nds Zg. 41/1968 Bd. 24/5, Bl.1018

Niedersächsisches Staatsarchiv in Wolfenbüttel, 61 Nds Zg. 41/1968 Bd. 24/5, Bl. 871ff.

 

Literatur:

Fritz Bauer, „Das Recht auf Widerstand und General Oster“, in: Politische Studien, 15. Jg. (1964), H. 154, S. 188-194; wiederabgedruckt in: Fritz Bauer, Die Humanität der Rechtsordnung. Ausgewählte Schriften. Hrsg. v. Joachim Perels und Irmtrud Wojak. Frankfurt am Main, New York: Campus 1998, S. 215-223.

Fritz Bauer, „Eine Grenze hat Tyrannenmacht“ (Plädoyer im Remer-Prozess), in: Geist und Tat. Monatsschrift für Recht, Freiheit und Kultur, 7. Jg. (1952), H. 7, S. 194-200; wiederabgedruckt in: Fritz Bauer, Die Humanität der Rechtsordnung. Ausgewählte Schriften. Hrsg. v. Joachim Perels und Irmtrud Wojak. Frankfurt am Main, New York: Campus, 1998, S. 169-180.

Claudia Fröhlich, Wider die Tabuisierung des Ungehorsams. Fritz Bauers Widerstandsbegriff und die Aufarbeitung von NS-Verbrechen. Frankfurt am Main: Campus, 2006.

Peter Reichel, Erfundene Erinnerung. München: Carl Hanser, 2004.

Peter Steinbach, Der 20. Juli 1944 – Gesichter des Widerstands. München: Siedler, 2004.

Gerd R. Ueberschär, Stauffenberg – Der 20. Juli 1944. Frankfurt am Main: S. Fischer, 2004.

Irmtrud Wojak, Fritz Bauer 1903-1968. Eine Biographie. Eschenlohe: BUXUS EDITION, 2019.

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