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Im Kampf um des Menschen Rechte

Jurist aus Freiheitssinn

Bauers einzige autobiographische Schrift „Im Kampf um des Menschen Rechte“ gibt Aufschluss über seine juristische Selbstwahrnehmung. Ihr liegt neben den liberalen Idealen aus Goethes „Wilhelm Meister: Wanderjahre“ auch eine spezifische Idee von Demokratie zu Grunde. Bauer beschreibt Demokratie als Ruderboot, in dem jeder Mensch mitrudern muss.

Diese Metapher überträgt er auch auf die eigene gesellschaftliche Rolle als Jurist. Zwar würden Jurist*innen oftmals als außerhalb des Systems stehend betrachtet, dies sei aber falsch. Sie stehen, wie alle anderen Menschen, inmitten des gesellschaftlichen Spannungsfeldes und sollten daher ihren staatsbürgerlichen und demokratischen Pflichten mit gutem Beispiel nachkommen. Weiter gebe es keine politikleeren Räume, das gelte auch für die Jurist*innen. Eine klare Trennung von juristischer Arbeit und politischem Aktivismus sei daher gar nicht notwendig, denn es gebe ohnehin keine Juristik frei von Subjektivität. Entscheidend sei, dass Jurist*innen das Recht pflegen, ohne die Menschen, und sei es auch nur moralisch, zu verurteilen.

Durch Gustav RadbruchWas bedeutet das? lernte Fritz Bauer, zwei Arten von Jurist*innen zu unterscheiden. Radbruch differenzierte zwischen denjenigen, die ihre Arbeit aus einem Ordnungssinn heraus und denen, die sie aus einem Freiheitssinn heraus machen.

 

Bauer entscheidet sich dafür, ein Jurist aus Freiheitssinn zu werden. Denn es seien diese Jurist*innen, die als Vorposten der Rechtsstaatlichkeit agieren und Probleme wie Polizeigewalt benennen, sie nutzen den Rechtsstaat als Mittel zur Wahrung von Freiheit gegenüber der Ordnung. Es ist diese Ordnung und die Gesetzeshörigkeit deutscher Jurist*innen, die Bauer durch den Faktor Mensch ergänzt sehen will. Denn: „Vom Gesetzesfetischismus führt ein schnurgerader Weg zu den Konzentrationslagern von Auschwitz und Buchenwald“.

Auch dürfe die Strafjustiz keinen Maßstab an den Menschen anlegen und sie nach diesem beurteilen. Vielmehr müsse der Mensch das Maß aller Dinge sein. „Was aber ist der Mensch?“, fragt Bauer.

Es ist nicht möglich, alle Straftaten zu verhindern, aber einige ihrer Ursachen können beseitigt werden, da viele Straftaten aus sozialer Not heraus geschehen. Zeit seines Lebens wird Bauer sich für die Berücksichtigung der Umstände von Taten und Täter*innen einsetzen und sich gegen unmenschliche Maßnahmen wie die Todesstrafe stellen.

Robert Mulka Bild von Fritz Bauer
Es gehört zu den schönsten Erlebnissen meiner Arbeit, daß es gelungen ist, einen Kreis uneigennütziger Männer und Frauen (…) zu finden, die bereit sind, Menschen, die strauchelten, dabei behilflich zu sein, in der Gemeinschaft wieder Wurzel zu schlagen. Das erfordert kein Studium großer Wissenschaften, nur das Herz muss auf dem rechten Fleck sein. (…) Wir können aus der Erde keinen Himmel machen, aber jeder von uns kann etwas tun, daß sie nicht zur Hölle wird.
Fritz Bauer

Zum gesellschaftlichen Miteinander:

„Verfassungsschutz, Wahrung der Freiheit, Ungehorsam und Kampf gegen totalitäre Tendenzen sind viel zu wichtige Dinge, als dass sie amtlichen Funktionären überlassen werden könnten.“

Fritz Bauer zufolge wurden alle Menschen gleich geschaffen und besitzen unabänderliche Rechte. Dazu gehört neben dem Recht auf Freiheit und dem Streben nach Glück auch das Recht auf Leben. Das Gebot „Du sollst nicht töten“ ist daher die Basis jedes zivilisierten Staates. Sowohl die Regierung als auch das Parlament unterstehen dem GrundgesetzWas bedeutet das? und damit eben diesen unabänderlichen Rechten.

Die Aufgabe des obersten Gerichts muss es sein, diese Rechte der Bürger*innen vor der „Tyrannei der Mehrheit“, beispielsweise Gesetzesvorschlägen der Parlamente, die diese Rechte einschränken sollen, zu schützen. Bei der Durchsetzung der Rechte des Menschen gebe es kein „Zuviel des Guten“, kein Zweck dürfe eine Rechteeinschränkung rechtfertigen. Jedwede Art der Einschränkung dieser Rechte gilt es zu verhindern, egal ob es dabei um einzelne Personen oder um eine politische Opposition geht.

Ein Angriff auf die Rechte der oder des Einzelnen ist immer ein Angriff auf die Rechte aller und die politische Opposition stärkt eine Demokratie. Die Rechte des Menschen entfalten ihre volle Kraft, so Bauer, immer dann, wenn staatliche Stellen sie respektieren, obwohl sie ihren Interessen entgegenstehen.

Dies dürfe aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es staatliche Stellen gebe, die eben diese Rechte gezielt missachten, um ihre Arbeit zu erleichtern. So habe der Verfassungsschutz eigentlich die Aufgabe, die Freiheitsrechte jeder und jedes Einzelnen zu schützen. Dennoch untergräbt er, um der Perfektion seiner Arbeit willen, diese Rechte in unterschiedlicher Weise und erschüttert so immer wieder das Vertrauen der Menschen.

Auch sei es ein Irrtum zu glauben, durch Paragrafen und Verbote könnten Menschen zu tugendhaftem Handeln erzogen werden. Eine Demokratie zeige ihre Stärke in der Freiheit, die sie ermöglicht, in der Zahl der Dinge, die sie erlaubt und nicht verbietet, sowie in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung um diese Dinge.

Beamtenschaft und Rechtssystem:

Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus, dieser Grundsatz ist das Fundament der deutschen Beamtenschaft laut Bauer. Sowohl vollziehende Gewalt als auch die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden, kein Mensch darf aus irgendeinem Grund benachteiligt oder bevorzugt werden. Der Rechtsstaat ist für Bauer keine bloße juristische Idee, sondern praktisch tätiger Humanismus.

Auf dieser Basis ergibt sich für Bauer die Aufgabe von Staatsanwält*innen. Diese sei, eine Verbindung zwischen Gesellschaft und Polizei herzustellen, sie seien nicht weniger als Anwält*innen des gegenwärtigen Staates, dies schließt die Bürger*innen mit ein, sowie ihre Sorgen und Nöte. Weiter müssen sie ihr Handeln ausschließlich am GrundgesetzWas bedeutet das? ausrichten, nicht darüber hinaus und auch nicht in eigenen Absichten. Gleichzeitig dürfe es nicht zu einer Technisierung des Handelns kommen: „(Die) juristische Technik darf uns nicht über den Kopf, auch nicht über das Herz wachsen.“

Es ist Aufgabe der StaatsanwaltschaftWas bedeutet das?, an den Gegenständen der Zeit mitzuarbeiten, so Bauer, denn das Recht ist etwas Gewachsenes, etwas das sich verändert und gleichzeitig nicht technisch, wie Mathematik, anzuwenden ist. Zwar fordere das rechtsstaatliche Ideal von den Staatsanwält*innen die Präzision eines Uhrwerks, vergesse aber zu oft, dass auch sie sich im Spannungsfeld der Gesellschaft bewegen.

Bei der Strafverfolgung sei es wichtig abzuwägen, ob eine Tät nützlich oder schädlich gewesen sei, in jedem Falle sollten die Staatsanwält*innen den Täter*innen nicht gefühllos begegnen. Sie vereinen, so Bauer, die Funktionen von Beamt*innen, Diagnostiker*innen und Therapeut*innen. Staatsanwält*innen sollen nicht weniger als Anwält*innen der Menschen gegen private und staatliche Willkür sein.

Zum Umgang mit dem Nationalsozialismus:

Den NS-Staat beschreibt Bauer als Unrechtsstaat mit gesetzlich verankertem Unrecht. Er meint damit, dass die Nationalsozialist*innen die unveränderlichen Rechte der Menschen verletzt haben, und diese Verletzung versuchten, in juristische Formen wie der Notverordnung vom 28. Februar 1933 oder das ErmächtigungsgesetzWas bedeutet das? vom 24. März 1933 zu gießen. Diese Gesetze entbinden die Täter aber keinesfalls von ihrer Verantwortung, denn die Rechte der Menschen stehen über den Rechten von Nationalstaaten.

Befehle sind eben nicht blind zu befolgen, wie viele der Täter*innen es vor Gericht suggerieren wollen. Das würde bedeuten, den Menschen als Person und seine Verantwortung als Mensch auszublenden und womöglich ganz aufzugeben.

Es waren, so Bauer, nicht die Nationalsozialist*innen, die im Rahmen des Rechts handelten, sondern die vielen Widerstandskämpfer*innen. Denn der Nationalstaat wird in seinem Handeln durch die Rechte der Menschen begrenzt und nicht umgekehrt. Der deutschen Bevölkerung könne erst Amnestie gewährt werden, wenn sie sich vor der kommenden Geschichte beweist und die Reche der Menschen respektiert.

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Glossar

Literaturhinweise

„Im Kampf um des Menschen Rechte“, in: Elga Kern (Hrsg.), Wegweiser in die Zeitenwende. München, Basel 1955, S. 176.

„Wer verteidigt die Freiheit? Ordnung und Schema als Götzen unserer Zeit“, in: Frankfurter Rundschau, 8.1.1955.

„Mörder unter uns“, in: Deutsche Nachrichten, V. 5, Nr. 3, 20.01.1947.

„Der Kampf ums Recht“, in Geist und Tat. Monatsschrift für Recht, Freiheit und Kultur, Jg. 5 (1950), H. 10, S. 429.

„Der Unrechtsstaat und das Recht“, in: Das Parlament, Jg. 3 (1953), H. 11, S. 9.

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