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Fritz Bauers Büro 1956

Fritz Bauer wird 1956 zum Generalstaatsanwalt in Frankfurt am Main berufen. Aber was bedeutet die neue Position für die Arbeit Bauers? In diesem Raum wollen wir auf Bauers persönliche Weiterentwicklung eingehen, aber auch zeigen wie die Möglichkeiten, welche mit seiner neuen Position in Frankfurt am Main einhergingen, sich auf die Arbeit Bauers auswirkten.

Historischer Kontext

 

In der Sowjetunion leitet Nikita ChruschtschowWas bedeutet das? die EntstalinisierungWas bedeutet das? ein. Durch Reformen sollen der Personenkult um den 1953 verstorbenen Diktator Josef Stalin und die politische Ideologie des Stalinismus beendet werden. In Ungarn wird der VolksaufstandWas bedeutet das?, der aus der Forderung nach nationaler Unabhängigkeit von der Sowjetunion und nach Demokratie entstanden ist, durch die Sowjetarmee blutig niedergeschlagen.

Im Juli 1956 kommt es zur Verstaatlichung des Suezkanals durch Ägypten. Daraufhin folgt die SuezkriseWas bedeutet das?, ein internationaler Konflikt zwischen Ägypten auf der einen Seite, und Großbritannien, Frankreich und Israel auf der anderen Seite. Im Oktober erreicht die Krise mit der Invasion Israels auf der Sinai-Halbinsel und in den Gazastreifen ihren Höhepunkt. Zu einem vorläufigen Ende des Konflikts kommt es 1957 mit dem Rückzug Israels und dem Waffenstillstand zwischen Ägypten auf der einen und Frankreich und Großbritannien auf der anderen Seite. Die USA baut ihre Interessenspolitik im Nahen Osten erfolgreich aus.

In der Bundesrepublik herrscht währenddessen in der Zeit der Regierung Bundeskanzler Adenauers ein großer Arbeitskräftemangel. Im Jahr zuvor wurde das deutsch-italienische Anwerbeabkommen unterzeichnet. 1956 kommen daraufhin fast 12.000 italienische Arbeitskräfte, die sogenannten GastarbeiterWas bedeutet das?, ins Land.

Die Bundesrepublik wird Mitglied der Atomenergiegesellschaft (EAEG) und die Staaten der MontanunionWas bedeutet das? beraten über eine „Europäische Atomgemeinschaft“. Nachdem Deutschland 1955 der NATOWas bedeutet das? beigetreten ist, beginnt Anfang 1956 offiziell der Aufbau der BundeswehrWas bedeutet das? als westdeutscher Militärstreitkraft. Im Juli 1956 folgt die Einführung der Wehrpflicht. In der DDR beginnt 1956 der Aufbau der Nationalen Volksarmee (NVAWas bedeutet das?). Die Wiederbewaffnung wird kontrovers diskutiert.

Im April 1956 nimm der BundesnachrichtendienstWas bedeutet das? (BND) offiziell die Arbeit auf. Die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) wird im August 1956 als verfassungsfeindlich eingestuft und verboten. Im gleichen Monat verstirbt der Dramatiker Bertolt Brecht. Am 27. Oktober 1956 einigen sich Deutschland und Frankreich im Vertrag von Luxemburg über die Saarland-Frage: Das Saarland, das seit 1947 eine eigene Republik unter französischem Protektorat bildete, gehört ab Anfang 1957 wieder zur Bundesrepublik Deutschland.

Amtseinführung

"Der zuletzt am Oberlandesgericht tätige Oberstaatsanwalt Dr. Fritz Bauer übernimmt nun die Staatsanwaltschaft in Frankfurt am Main. Auf Wunsch des hessischen Ministerpräsidenten und Justizminister Georg August Zinn findet dieser Wechsel statt. ​Zuletzt hatte Dr. Bauer erfolgreich im Rahmen des​ Verfahren gegen den ehemaligen Generalmajor​ Otto Ernst Remer eine Rehabilitierung der ​Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 erwirkt.​ Bauer hatte zuletzt Ermittlungen und Verfahren​ gegen verschiedene Mediziner mit eingeleitet, die ​im Nationalsozialismus an grauenhaften Verbrechen​ beteiligt waren." (Hinweis: Die eingeblendete Zeitung und ihr Inhalt ist keine originale Abbildung, sondern eine freie Nachbildung.)
Robert Mulka Bild von Fritz Bauer
Ein führender Jurist Deutschlands schrieb: Der Staat ist rechtlich durch keine Schranke gebunden. Selbst brutale Gewaltakte würden, wenn sie in der Form des Gesetzes aufträten, Recht sein, für Gerichte, Verwaltungen und Untertanen verbindlich. –  Das ist der Weg nach Dachau, Buchenwald und Auschwitz. Widerstand tut not gegen Armut, Geistesenge und die Trägheit des Herzens. Widerstand meint Verantwortlichkeit für das Schicksal seines Mitmenschen.
Fritz Bauer
Robert Mulka Bild von Fritz Bauer
Der europäische Widerstandskampf durch die Jahrhunderte, der uns die Menschenrechte beschert und Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit gelehrt hat, ist ein Vermächtnis, dem wir alle verpflichtet sind. Unsere Demokratie bedarf, wenn sie Realität sein soll, des Lebens- und Kampfeswillen, der Unerschrockenheit und des kleinen Heldentums von uns allen. Im Alltag, in jeder Stunde unseres Lebens, gilt es, die Freiheit und das Recht des Bürgers gegen staatlichen und privaten Machtmissbrauch zu behaupten und zu verteidigen. Es gilt wachsam zu sein gegenüber allen Einflüssen und Versuchungen, unsere Rechte und Freiheiten freiwillig preiszugeben. Es gilt, für die Verfolgten und Unterdrückten dieser Erde einzutreten, wo immer sie sind. Widerstand tut not gegen Armut, Geistesenge und die Trägheit des Herzens. Widerstand meint Verantwortlichkeit für das Schicksal seines Mitmenschen.
Fritz Bauer

Die Chronik Fritz Bauers

Frankfurt: 1956

Postkarten

Postkarten Bauers an seine Frau Anna Maria Bauer-Petersen in Kopenhagen ist zu entnehmen, dass er 1958/59 mindestens viermal nach Israel flog. Die Postkarten wurden verschickt aus Herzliya, undatiert (1958), sowie dreimal aus Tel Aviv, 14. (Monat unleserlich) 1958, 17.03.1958 und 03.12.1959. Seine Reisen nach Israel standen in Zusammenhang mit der Suche nach Adolf EichmannWas bedeutet das?. Erfahre hier mehr über Fritz Bauers Rolle bei der Ergreifung von Eichmann.

© pechschwarz

Fritz Bauer und die Kunst

In seiner Tätigkeit als juristischer Berater des Suhrkamp-Verlages war Fritz Bauer früh in das Entstehen von Peter WeissWas bedeutet das?‘ Bühnenstück Die Ermittlung involviert. Bauer unterstützte Weiss bei seinen Recherchen und versorgte ihn mit Dokumenten, Fotografien und sonstigen Unterlagen zu Auschwitz. Er schrieb dazu an den Verleger Siegfried Unseld im Jahr 1964: „Sie und Peter Weiss ›belästigen‹ mich in keiner Weise; die StaatsanwaltschaftWas bedeutet das? kennt ihre vorrangige Verpflichtung gegenüber Dichtern und Denkern!“ (Brief von F. Bauer vom 15.07.1964, in Wojak, S. 359.)

Das Stück, das 1956 seine Uraufführung feierte, wurde als Zäsur im Umgang mit der deutschen Vergangenheit wahrgenommen. Fritz Bauer nahm nach der Inszenierung von Die Ermittlung durch Peter Palitzsch am Württembergischen Staatstheater in Stuttgart an einer Podiumsdiskussion teil, und sagte: „Wir Juristen in Frankfurt haben erschreckt gerufen […] nach dem Dichter, der das ausspricht, was der Prozeß auszusprechen nicht im Stande ist“. („Auschwitz auf dem Theater?“, S. 75) Die Möglichkeiten der Literatur gehen demnach für Bauer weit über die der Rechtsprechung hinaus, denn „der Auschwitz-Richter züchtigt, der Auschwitz-Dichter sollte erziehen“. (Ebd., S. 75f.)

links: Peter Weiss © picture alliance

Aktenberge

Mit dem Amtsantritt als Landgerichtsdirektor in Braunschweig füllten gleich mehrere Verfahren wegen des nationalsozialistischen Terrors in Braunschweig nach 1933 den Schreibtisch Fritz Bauers. Über die Jahre und mit dem Wechsel nach Hessen als Generalstaatsanwalt kamen unzählige neue Fälle hinzu. Allein im Juni 1960 führte die Dienststelle von Bauer nicht weniger als 126 Untersuchungen gegen NS-Juristen.

Bauer und seine Staatsanwaltschaft waren involviert in Verfahren wegen der NS-Euthanasie, der NS-Medizin, des NS-Ahnenerbe, der NS-Justiz und besonders in Verfahren zu den Verbrechen in Auschwitz. Nicht zu vergessen auch die Akten des alltäglichen Gerichtbetriebs, da Fritz Bauer auch für den Strafvollzug zuständig war. Akte über Akte wanderte über Fritz Bauers Schreibtisch, so dass sich manchmal regelrechte Aktenberge dort auftürmten.

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Glossar

Literaturhinweise:

Irmtrud Wojak, Fritz Bauer 1903-1968. Eine Biografie. Eschenlohe: BUXUS EDITION, 2019.

Fritz Bauer, „Widerstand heißt Verantwortlichkeit“, in: Deutscher Gewerkschaftsbund, Bundesvorstand, Hauptabteilung Jugend (Hrsg.), Der 20. Juli. Düsseldorf 1956, S. 31-39, wiederabgedruckt in: Fritz Bauer, Kleine Schriften. 1921-1961. Hrsg. von Lena Foljanty und David Johst. Frankfurt am Main: Campus, 2018, S. 464-471, hier S. 469 f.

„Auschwitz auf dem Theater? Ein Podiumsgespräch im Württembergischen Staatstheater Stuttgart am 24. Oktober 1965 aus Anlaß der Erstaufführung der ›Ermittlung‹“, in: Braese u.a. (Hg.), Deutsche Nachkriegsliteratur und der Holocaust, S.71-97, hier S.75. Zit. Nach Wojak, S.360.

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